Leitsatz (amtlich)

Den für ein erfolgreiches Erfüllungsverlangen nach § 107 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderlichen Besitz kann der (Eigentumsvorbehalts-) Käufer eines Kraftfahrzeugs in Form des mittelbaren Besitzes durch eine mit dem Verkäufer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen getroffene (konkludente) Vereinbarung eines verwahrähnlichen Verhältnisses (hier: individuelle Herrichtung des Fahrzeugs für den Käufer bei nach außen dokumentierter Bereitstellung zum Zwecke der bereits terminierten Zulassung) erlangen.

 

Normenkette

BGB §§ 930, 868; InsO § 107 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Duisburg (Urteil vom 02.12.2011; Aktenzeichen 10 O 190/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 2.12.2011 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer - Einzelrichter - des LG Duisburg geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, den im beigefügten Kaufvertrag vom 11.5.2010 bezeichneten Pkw der Marke Seat, Exeo ST 2,0 TDI CR Style, 88 kW, dem Kläger zu übergeben, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Opel Zafira mit dem amtlichen Kennzeichen WES ..., Fahrzeug-Ident-Nr. WOLOTGF-7522038270, sowie ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 1.196,43 EUR freizustellen.

Die Kosten beider Rechtszüge trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagen wird gestattet, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 32.000 EUR abzuwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Streitwert für den Berufungsrechtszug: 28.500 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von dem Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen der R. GmbH & Co. KG die Erfüllung eines mit der Gemeinschuldnerin geschlossenen Kaufvertrages über einen Neuwagen.

Der Beklagte wurde am 26.5.2010 zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin bestellt; am 1.8.2010 wurde das Verfahren eröffnet und der Beklagte als endgültiger Verwalter bestellt.

Der Kläger hatte zuvor am 11.5.2010 bei der Gemeinschuldnerin einen Neuwagen der Marke Seat, Typ: ExeoST 2,0 TDI CR Style zum Preis von 28.500 EUR bestellt. In den der schriftlichen Bestellung beigefügten Neuwagen-Verkaufsbedingungen heißt es unter Ziffer VI.1.:

"Der Kaufgegenstand bleibt bis zum Ausgleich der dem Verkäufer aufgrund des Kaufvertrages zustehenden Forderungen Eigentum des Verkäufers."

Bis zum vereinbarten Liefertermin am 27.5.2010 sollte der Kläger zur Abgeltung des Kaufpreises einen Betrag von 26.000 EUR zahlen. Der restliche Kaufpreis von 2.500 EUR sollte durch Inzahlunggabe eines gebrauchten Fahrzeugs des Klägers beglichen werden.

Einige Tage nach Vertragsschluss überließ der Kläger einem Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin seinen Personalausweis zwecks Anmeldung des Neufahrzeugs. Aufgrund terminlicher Schwierigkeiten konnte die Gemeinschuldnerin die Anmeldung für den Kläger nicht vornehmen. Dieser holte deshalb kurz vor Pfingsten (23./24.05.) seinen Personalausweis in den Geschäftsräumen der Gemeinschuldnerin wieder ab. Bei dieser Gelegenheit stellte der Kläger fest, dass der von ihm bestellte Neuwagen auf dem Firmengelände zur Abholung bereit stand und die vereinbarte Anhängerkupplung montiert war.

Am 26.5.2010 überwies der Kläger 26.000 EUR an die Gemeinschuldnerin. Tags darauf teilte der Mitarbeiter S. der Gemeinschuldnerin dem Kläger telefonisch mit, dass die Gemeinschuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt habe.

Der Kläger ließ den Beklagten durch Anwaltsschreiben mehrfach zur Erfüllung des Kaufvertrages auffordern, was der Beklagte unter Hinweis auf § 103 InsO ablehnte.

Der Kläger hat die Erfüllung des Kaufvertrages im Klagewege geltend gemacht.

Er hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, den Kaufvertrag vom 11.5.2010 über den Pkw der Marke Seat, Exeo ST 2,0 TDI CR Style, 88 kW, zu erfüllen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Opel Zafira mit dem amtlichen Kennzeichen WES ..., Fahrzeug-Ident-Nr. WOLOTGF-7522038270, sowie ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 1.196,43 EUR freizustellen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das LG hat am 2.12.2011 die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, der Kläger könne vom Beklagten nicht die Erfüllung des ihm zustehenden Anspruchs aus § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen.

Der Beklagte habe von seinem Recht gem. § 103 Abs. 1 und 2 Satz 1 InsO Gebrauch gemacht, die Erfüllung des Kaufvertrages abzulehnen. Bei dem in Rede stehenden Kaufvertrag handele es sich um einen gegenseitigen Vertrag, welcher im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung - am 1.8.2010 - unstreitig noch nicht vollständig erfüllt gewesen sei. In einem solchen Fall stehe dem Insolvenzverwalter das freie Wahlrecht zu, welches der Beklagte durch Ablehnung der Vertragserfüllung wirksam ausgeübt habe.

Der Kläger könne die Erfüllung des Kaufvertrages auch nicht gem. § 107 Abs. 1 Satz 1 InsO verlangen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Gemeinschuldnerin dem Kläger das Fahrzeug vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Eigentums...

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