Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahme einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung bei relativer Fahruntüchtigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wenn der alkoholgewöhnte und übermüdete Versicherungsnehmer mit 0,84 ‰ BAK ohne erkennbaren Grund auf trockener und schnurgerade verlaufender Autobahn nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und danach weiter über eine Strecke von 65 m geradeaus gefahren ist, bis sein Fahrzeug an einen Baum stieß, kann nicht festgestellt werden, dass der Unfall auf einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung beruht und der Versicherer deshalb von seiner Leistungspflicht für den Todesfall nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88 frei geworden ist.

2. Seiner Pflicht, über die Folgen bewusst unwahrer Angaben (§ 6 Abs. 3 VVG) in drucktechnisch hervorgehobener Form zu belehren, genügt der Versicherer nicht, wenn der Belehrung in Ziff. 9.1 des Vordrucks – ebenfalls in Kleindruck – weitere Hinweise unter Ziff. 9.2., 9.3. und 9.4. folgen.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Urteil vom 20.03.2002; Aktenzeichen 11 O 15/01)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20.3.2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Düsseldorf – Einzelrichter – teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.714,55 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 2.9.2000 bis zum 31.12.2001 und i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 1.1.2002 – jedoch jeweils nicht mehr als 9 % Zinsen – zu zahlen. Wegen der weiter gehenden Zinsforderung wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Ehemann der Klägerin schloss bei der Beklagten eine dynamische Unfallversicherung unter Einbeziehung der AUB 88 ab. Die Police sieht für den Todesfall eine Leistung von 19.000 DM vor. Die bezugsberechtigte Ehefrau des verstorbenen Versicherungsnehmers begehrt von der Beklagten diese Versicherungsleistung.

Der Ehemann der Klägerin erlitt am 12.6.2000 gegen 14.30 Uhr auf der BAB 67 in Fahrtrichtung M. einen tödlichen Verkehrsunfall, als er mit seinem Pkw Opel Kadett auf gerader Strecke von der Fahrbahn abkam. Nach dem Unfall fand die Polizei sechs leere 0,5 l Bier-Dosen auf dem Beifahrersitz. Die Untersuchung einer dem Verstorbenen entnommenen Blutprobe ergab eine BAK von 0,84 ‰.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 19.9.2000 die Leistung unter Berufung darauf, der Ehemann der Klägerin habe den Unfall infolge einer alkoholbedingten Geistes- oder Bewusstseinsstörung erlitten, verweigert (GA 16).

Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, für den Unfall sei eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung ursächlich gewesen. Dies ergebe sich aus der bei dem Ehemann der Klägerin festgestellten BAK von 0,84 ‰ und daraus, dass er ohne erkennbaren Grund auf trockener, gerade verlaufender Autobahn von der Fahrspur abgekommen sei. Dass der Ehemann der Klägerin alkoholkrank sei, an den Konsum von Alkohol gewöhnt sei und zwei Tage kaum geschlafen habe, ändere daran nichts, denn ein ermüdeter Fahrer sei bei einer BAK von 0,84 ‰ erst recht fahruntüchtig.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie macht im Wesentlichen geltend, das LG habe zu Unrecht einen alkoholtypischen Fahrfehler angenommen.

II. Die zulässige Berufung hat weitgehend Erfolg.

1. Die Klägerin kann die Beklagte im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 12.6.2000 nach §§ 1, 7 Abs. 6 AUB 88 auf die Todesfallleistung von 9.714,55 Euro (19.000 DM) in Anspruch nehmen, denn die Beklagte ist weder nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88 noch aus einem anderen Grund von der Leistungspflicht frei geworden.

a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88 sind Unfälle durch Geistes- und Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Bewusstseinsstörung ist dabei nicht mit völliger Bewusstlosigkeit gleichzusetzen, es genügen solche „krankhaften” Störungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit, die den Versicherten außerstande setzen, den Sicherheitsanforderungen der Umwelt zu genügen (BGH v. 27.2.1985 – IVa ZR 96/83, NJW 1985, 2534).

Dass der Ehemann der Beklagten alkoholbedingt so sehr in seiner Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit gestört war, dass er der konkreten Gefahrenlage im Straßenverkehr nicht mehr gewachsen war und deshalb verunglückt ist, steht nicht fest. Mit einer BAK von leicht über 0,8 ‰ ist die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit, die bei einem Kraftfahrer bei einer BAK von 1,1 ‰ erreicht ist (BGH v. 28.6.1990 – 4 StR 297/90, MDR 1990, 838 = VersR 1990, 1177 [1179]; BGH v. 5.12.1990 – IV ZR 13/90, MDR 1991, 655 = NJW 1991, 1357) nicht überschritten. Der Ehemann der Klägerin war allenfalls relativ fahruntüchtig. In einem solchen Fall kann eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung nur dann angenommen werden, wenn das zum Schaden führende Verhalten des Versicherten den Rück...

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