Leitsatz (amtlich)

Für eine im Kündigungsschutzprozess versäumte Prozesshandlung haftet der Rechtsanwalt nicht, wenn er im Regressprozess – wie der Arbeitgeber- die Kündigungsgründe beweist.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 675; KSchG § 1

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 10 O 308/00)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 20.6.2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des LG Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger keinen Schaden erlitten hat.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagten aus positiver Forderungsverletzung des Anwaltsdienstvertrages (§§ 611, 675 BGB) keinen Anspruch auf Zahlung von 4.991,27 Euro (= 9.762,08 DM).

a) Allerdings haben die Beklagten ihre vertragliche Verpflichtung zur umfassenden Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Klägers (vgl. BGH v. 30.11.1999 –X ZR 129/96, NJW-RR 2000, 791; BGH v. 4.6.1996 – IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648) verletzt. Denn die Beklagten räumen vorbehaltlos ein, dass sie die Frist zur Begründung der Berufung des Klägers gegen das am 2.9.1999 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Solingen – 2 Ca 2369/98 (Bl. 88 BeiA) versäumt haben.

b) Das LG hat jedoch zu Recht entschieden, dass dem Kläger hierdurch ein Schaden nicht entstanden ist.

aa) Für den haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhang zwischen der anwaltlichen Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden ist unter Berücksichtigung der in § 287 ZPO getroffenen Regelung festzustellen, was geschehen wäre, wenn der Rechtsanwalt sich vertragsgerecht verhalten hätte und wie die Vermögenslage des Mandanten dann wäre. Dieser trägt insoweit die Beweislast, die durch den Beweis des ersten Anscheins und die – ggü. § 286 ZPO – geringeren Anforderungen des § 287 ZPO an die Darlegungslast und an das Beweismaß erleichtert wird. Einen erstattungsfähigen Schaden hat der Mandant in der Regel dann erlitten, wenn er einen Prozess verloren hat, den er bei sachgemäßer anwaltlicher Beratung gewonnen hätte. Für diese hypothetische Beurteilung ist maßgeblich, wie der Vorprozess nach Auffassung des Regressgerichts richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Dabei gelten die Beweislastregeln des Vorprozesses grundsätzlich auch im Regressprozess (vgl. BGH NJW 2000, 1572).

bb) Der Senat ist davon überzeugt, dass die Kündigungsschutzklage des Klägers im Vorprozess auch bei ordnungsgemäßer Berufungsbegründung durch die Beklagten erfolglos geblieben wäre und dem Kläger deshalb aus diesem Versäumnis kein Schaden entstanden ist. Diesen Beweis haben die Beklagten wie der frühere Arbeitgeber geführt.

Das ergibt sich aus Folgendem:

(1) Die von dem Arbeitgeber erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 29.10.1998 war wirksam.

(a) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beschäftigungsbetrieb im Zeitpunkt der Kündigung aufgrund der Zahl der dort Beschäftigen unter den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fiel (§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG). Der Kläger stand auch persönlich unter dem Schutz dieses Gesetzes, weil er seit mehr als sechs Monaten ununterbrochen dort beschäftigt war (§ 1 Abs. 1 KSchG).

(b) Nach der st. Rspr. des BAG (vgl. BAG DB 1999, 1910 m.w.N.) können sich betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z.B. Auftragsmangel und Umsatzrückgang) ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebs notwendig machen. Diese weitere Voraussetzung ist erfüllt, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet anders als durch eine Kündigung zu entsprechen. Die Kündigung muss wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar sein. Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist dabei, ob eine unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt. Dagegen ist es grundsätzlich nicht entscheidend, ob dem Gericht eine solche Entscheidung sachlich gerechtfertigt oder zweckmäßig erscheint (BAG DB 1999, 1910 m.w.N.). Die gerichtliche Überprüfung erstreckt sich vielmehr nur darauf, ob die Entscheidung unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, MDR 1988, 80 = BAGE 55, 262). Ein erhöhter Prüfungsmaßstab gilt nur, wenn die unternehmerische Organisationsentscheidung mit dem Kündigungsentschluss so zusammen fällt, dass beide praktisch deckungsgleich sind (vgl. dazu BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/98, DB 1999, 1909 [1910]).

Im Streitfall ist nach dem Ergebnis der im Vorprozess und der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats erwiesen, dass der Arbeitgeber des Klägers zwei unternehmerische Entscheidungen getroffen hatte, bev...

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