Leitsatz (amtlich)
1. Zahlungsunfähigkeit und nicht nur eine vorübergehende Zahlungsstockung liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen und die Liquiditätslücke auf unter 10 % zurückzuführen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist.
2. Von einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit kann nicht ausgegangen werden, wenn ein Schuldner unmittelbar nach der Befriedigung seiner Gläubiger abermals in Rückstand mit seinen Zahlungen gerät. Denn in diesem Fall war er allenfalls an einem bestimmten Stichtag zur Befriedigung seiner Gläubiger in der Lage, aber nicht auf Dauer zu einer allgemeinen Begleichung seiner alsbald fällig werdenden Verbindlichkeiten im Stande.
3. Ein Warenlager des Schuldners ist kein geldwertes kurzfristig veräußerbares Vermögen, wenn es sich um betriebsnotwendiges Vermögen handelt.
4. Eine Krise des Schuldners muss dessen Geschäftsleiter erkennen, wenn er sich gezwungen sieht, mit einem erheblichen Teil der Gläubiger des Schuldners Absprachen zu treffen, dass der Schuldner berechtigt sein soll, auf unbestimmte Zeit sämtliche Forderungen der Gläubiger ausschließlich nach der Liquiditätslage des Schuldners zu begleichen.
Normenkette
GmbHG a.F. § 64 S. 1; InsO § 17 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Krefeld (Aktenzeichen 12 O 63/19) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten zu 2) und 3) gegen das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Krefeld vom 17.10.2023, 12 O 63/19, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner. Die Kosten der Streithelferin fallen ihr selbst zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten zu 2) und 3) dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG a.F.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren betreffend das Vermögen der A. GmbH (im Folgenden: die Schuldnerin), das auf den Eigenantrag der Schuldnerin vom 08.03.2018 mit Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 01.06.2018 (...) wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet wurde.
Die 2009 gegründete Schuldnerin war ein internationaler Großhändler, der für den Import und die Verarbeitung von Fisch und Meeresfrüchten bekannt war. Die Schuldnerin belieferte nahezu alle Supermarktketten (u.a. ...) und verfügte Ende 2016 über ein Kontraktvolumen in Höhe von 170 Mio. EUR, das sie 2017 auf ca. 250 Mio. EUR steigerte.
Die Beklagte zu 1) war bis zum 27.09.2017 einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der Schuldnerin. Mit Gesellschafterbeschluss vom selben Tag folgte ihr der Beklagte zu 3) als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer nach. Der Beklagte zu 2) war seit dem 31.08.2011 für die Schuldnerin als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer tätig.
Die Schuldnerin wurde durch verschiedene Kreditinstitute finanziert. Im März 2017 gewährte die F-Bank AG einen Kontokorrentkredit von 15 Mio. EUR, die K-Bank AG einen Kontokorrentkredit von 12 Mio. EUR, die R-Bank AG einen Kontokorrentkredit von 12 Mio. EUR und die Landesbank O. einen weiteren Kontokorrentkredit von 10 Mio. EUR. Diese bilateralen Kredite wurden durch einen Sicherheitenpoolvertrag besichert, wobei die K-Bank AG als Sicherheitenpoolführerin agierte. Im Herbst 2017 benötigte die Schuldnerin aus zwischen den Parteien streitigen Gründen eine Erweiterung der Kreditlinien. Ab Mitte Oktober 2017 führte die Schuldnerin mit den sie finanzierenden Banken konkrete Vorgespräche, die am 26.10.2017 in schriftlichen Anträgen zur Erweiterung der Kreditlinien um jeweils 2,5 Mio. EUR mündeten. Schließlich erhöhte die Landesbank O. die Kreditlinie der Schuldnerin am 08.11.2017 um 2,5 Mio. EUR. Die R-Bank AG sagte die Umfinanzierung ab. Die K-Bank AG bewilligte die bei ihr beantragte Erhöhung der Kreditlinie um 2,5 Mio. EUR am 06.12.2017 gefolgt von der F-Bank AG, die der Erhöhung der bei ihr bestehenden Kreditlinie um 2,5 Mio. EUR am 19.12.2017 zustimmte.
Die Planung der Erweiterung der Kreditlinien wurde für die Schuldnerin durch die E. GmbH und die M. AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden M.) begleitet. Die E. GmbH war von der Schuldnerin seit September 2014 auf der Grundlage eines Maklervertrags (Anl. B 63, Bl. 6169 GA-LG) mit der Verwaltung bestehender bzw. Vermittlung neuer Kreditverträge, insbesondere der Bedarfsermittlung einschließlich Risikoeinschätzung beauftragt. Sie machte auch seit 2016 Reportings für die finanzierenden Banken. Die M. wurde seit...