Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusammentreffen von Obliegenheitsverletzungen vor und nach Eintritt des Versicherungsfalles

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beim Zusammentreffen von Obliegenheitsverletzungen vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls sind die Leistungsfreiheitsbeträge gem. §§ 2b Nr. 2 und 7 Abs. 1 Nr. 2 AKB zusammenzurechnen.

2. Relative Fahruntüchtigkeit mit der Folge der Leistungsfreiheit des Versicherers i.H.v. 10.000 DM ist anzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer mit seinem Pkw bei 0,99 0/00 BAK auf einer innerörtlichen Straße nahe seiner Wohnung einem Kleintier ausweichen wollte und dabei das Lenkrad so verriss, dass er die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und mit seinem Pkw eine Vorgartenmauer auf der linken Straßenseite durchbrach.

3. Eine relevante Obliegenheitsverletzung nach dem Versicherungsfall mit der Folge der Leistungsfreiheit des Versicherers in Höhe weiterer 5.000 DM liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer sich nach dem Unfall zu Fuß in seine nahe gelegene Wohnung begab, wo die Polizei ihn alsbald antraf und eine Blutprobe veranlasste, und offen bleibt, ob der Versicherungsnehmer sich entsprechend seiner Behauptung von sich aus zur Polizei begeben hätte.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Urteil vom 04.06.2003; Aktenzeichen 11 O 415/02)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 4.6.2003 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Düsseldorf - Einzelrichter - unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.112,92 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.10.2001 sowie weitere 2.556,46 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28.9.2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet, die Berufung der Klägerin dagegen begründet.

I. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das LG hat der Klägerin zu Recht einen Regressanspruch i.H.v. 10.000 DM aus §§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB, 3 Nr. 9 PflVG, 2b Ziff. 1e Ziff. 2 AKB, 5 Abs. 3 KfzPflVV zugesprochen, weil der Beklagte eine Obliegenheitsverletzung dadurch begangen hat, dass er ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er hierzu wegen Genusses alkoholischer Getränke nicht sicher in der Lage war.

1. Dass der Beklagte vor der Fahrt, die am 22.7.2000 zu dem streitgegenständlichen Unfall geführt hat, Alkohol getrunken hat, ist unstreitig. Absolute Fahruntauglichkeit lag allerdings nicht vor, denn im Unfallzeitpunkt um 4:25 Uhr hatte der Beklagte nur eine Blutalkoholkonzentration von 1,07 o/oo. Die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit liegt aber auch im Versicherungsvertragsrecht bei 1,1 o/oo (BGH v. 9.10.1991 - IV ZR 264/90, MDR 1992, 133 = VersR 1991, 1367; OLG Köln NVersZ 1999, 574; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 12 AKB Rz. 91). Die dem Beklagten um 5:15 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,99 o/oo. Das Trinkende lag im Entnahmezeitpunkt länger als zwei Stunden zurück, so dass eine Rückrechnung zulässig ist, da die Resorptionsphase abgeschlossen ist (vgl. OLG Köln NVersZ 1999, 574; OLG Nürnberg NVersZ 2001, 235). Der Beklagte will nämlich bereits ab Mitternacht nur mehr Cola getrunken und auch noch etwas gegessen haben (Beiakte StA Düsseldorf - 214 VRs 465/01, Bl. 93). Für die Rückrechnung ist zur Ermittlung der Fahruntüchtigkeit der für den Beschuldigten günstigste Abbauwert von 0,1 o/oo pro Stunde zugrunde zu legen (Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 316 StGB Rz. 8d). Zwischen dem Unfall um 4:25 Uhr und der Blutprobe lagen hier 50 Minuten, auszugehen ist daher von einem Abbau von 0,083 o/oo. Addiert man dies zu der um 5:15 Uhr festgestellten Blutalkoholkonzentration von 0,99 o/oo, ergeben sich 1,073 o/oo, also ein knapp unter der Grenze von 1,1 o/oo liegender Wert.

Der Beklagte war jedoch relativ fahruntüchtig, denn es liegen konkrete Ausfallerscheinungen vor, die hierauf schließen lassen (vgl. Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 12 AKB Rz. 93). Die Anforderungen an die Ausfallerscheinung als Anzeichen für die Fahruntauglichkeit sind hier deutlich herabgesetzt, denn sie müssen mit zunehmender Annäherung der Blutalkoholkonzentration an die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit geringer ausfallen (OLG Köln RuS 2003, 315; OLG Düsseldorf RuS 2000, 362). Diese Grenze war hier nahezu erreicht.

Es würde daher ohne weiteres genügen, wenn der Beklagte, entsprechend der Annahme des LG, bei klarer Verkehrsituation ohne Anlass von der Straße abgekommen ist, da dies nur durch einen alkoholbedingten Fahrfehler erklärbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.9.1997 - 4 U 148/96; OLG Saarbrücken ZfSch 2001, 214; OLG Köln NVersZ 1999, 574). Wenn der Beklagte dagegen einem Tier hat ausweichen wollen, lag zwar möglicherweise keine klare Verkehrslage vor. Auch dann hat er aber einen Fahrfehler begangen, der auf alkoholbedi...

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