Leitsatz (amtlich)
1. Kollidiert ein Rettungswagen bei seiner Einsatzfahrt aufgrund von Unaufmerksamkeit mit einem in einer scharfen Kurve geparkten Kfz, ist eine Haftungs-verteilung von 75 : 25 zulasten des Rettungswagens gerechtfertigt.
2. Bei der Haftungsabwägung bleibt allerdings das mangels einer ausgewiesenen Parkfläche im Bereich des Verkehrszeichens 325.1 geltende Parkverbot außer Betracht, da dieses der Verwirklichung des mit dem verkehrsberuhigten Bereich geschaffenen Bewegungs- und Kommunikationsraums, nicht aber der Sicherstellung ausreichenden Raums für den durchfahrenden Fahrzeugverkehr dient.
Normenkette
StVG § 17 Abs. 1-2; StVO § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 5, § 12 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 2b O 20/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 17.06.2020 verkündete Urteil der 2b. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Düsseldorf (2b O 20/20) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. pp.
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass - ohne dass es einer weiteren Aufklärung des Unfallhergangs bedarf - kein über den bereits gezahlten Betrag hinausgehender Anspruch des Klägers gegen die Beklagte besteht, weil auch der Kläger den Unfall mitverursacht hat. Obwohl der Rettungswagenfahrer überwiegend für den Unfall verantwortlich ist, da er - entweder bei der Anfahrt oder beim Zurücksetzen bei der Abfahrt - die Sorgfaltspflichten aus § 1 Abs. 2 StVO erheblich verletzt hat, tritt die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs nicht vollständig zurück. Vielmehr ist eine Mithaftungsquote des Klägers von 25 % nicht zu beanstanden, weil die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs durch einen schuldhaften Verstoß gegen das Halte- und Parkverbot in scharfen Kurven nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO erhöht worden ist.
Im Einzelnen:
1. Der Rettungswagenfahrer hat den Unfall schuldhaft verursacht, weil er die nach § 1 Abs. 2 StVO gebotene Sorgfalt entweder beim Anfahren der Unfallörtlichkeit oder während des Rückwärtsfahrens beim Verlassen der Unfallörtlichkeit missachtet hat und deswegen gegen das Klägerfahrzeug gefahren ist.
Hat sich der Unfall bei der Anfahrt ereignet, so hätte der Rettungswagenfahrer auf das als Hindernis erkennbare Klägerfahrzeug dadurch reagieren müssen, dass er die Kurve besonders vorsichtig und mit ausreichendem Seitenabstand zu diesem Fahrzeug durchfährt, um trotz der beengten Verhältnisse zu vermeiden, dass es durch das ausschwenkende Heck des Rettungswagens beschädigt wird.
Im Falle einer Kollision während des Zurücksetzens beim Verlassen der Örtlichkeit hätte der Rettungswagenfahrer nach der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen müssen. Er hätte also entweder die Rückwärtsfahrt abbrechen müssen, wenn dafür nicht ausreichend Platz zur Verfügung gestanden hätte, oder aber diese besonders langsam und vorsichtig fortsetzen müssen. Notfalls hätte er sich einweisen lassen müssen. Die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO ist im Falle der Kollision eines rückwärtsfahrenden Pkw mit einem geparkten Pkw zumindest mittelbar im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO anwendbar (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 6/15, juris Rn. 11 m. w. N.; Urteil vom 26. Januar 2016 - VI ZR 179/15, juris Rn. 11, jeweils zu Unfällen auf einem Parkplatzgelände). Ob die Vorschrift darüber hinaus auch unmittelbare Anwendung finden kann, oder ob dem entgegensteht, dass sie primär dem Schutz des fließenden Verkehrs dient, dessen Gefährdung im Falle einer Kollision mit einem geparkten Fahrzeug nicht in Betracht kommt (so Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Burmann, StVO § 9 Rn. 67; OLG Jena, Beschluss vom 01.02.2005 - 1 Ss 80/04, juris Rn. 11; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.05.2004 - 1 Ss 182/04; juris, Rn. 7 f.; OLG Koblenz, Beschluss vom 09.11.1999 - 2 Ss 266/99, juris, Rn. 10 f.) kann dahinstehen (gegen eine generelle Beschränkung des Schutzzwecks der Vorschrift auf den fließenden Verkehr allerdings BGH, Urteil vom 15.05.2018 - VI ZR 231/17, juris Rn. 12).
2. Der Kläger hat den Unfall mitverursacht, weil er entgegen § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO sein Fahrzeug im Bereich einer scharfen Kurve geparkt hat. Eine scharfe Kurve liegt jedenfalls dann vor, wenn der Winkel der Kurve - wie hier - 90 Grad oder weniger beträgt (VG Düsseldorf, Urteil vom 17. Februar 2010 - 14 K 2614/09, juris Rn. 13; Freymann/Wellner-Müther, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 12 StVO, Rn. 33).
Der Teil der Straße, auf dem das Klägerfahrzeug abgestellt gewesen ist, liegt nicht etwa deshalb außerhalb des Kurvenbereichs, weil dieser Straßenteil ausweislich der als Anlagen K2 bis K4 vorgelegten Fotos von einer Art Mittellinie aus abweichend geformten Steinen von dem Straßenbereich abgegrenzt wird, der unmittelbar an dem Klägergrundstück vorbei verläuft. Das diese Mittellinie nicht etwa dem Zweck dient, den unmittelbar an das Grundstück des Klägers angrenzenden Teil ...