Leitsatz (amtlich)
Wird einem Arbeitnehmer im Zuge einer Betriebsänderungg ekündigt, so hat die mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage beauftragte Gewerkschaft bzw. deren Rechtsstelle, den Arbeitnehmer auch über den Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG zu beraten.
Normenkette
BGB § 611; BetrVG § 113
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 15.12.2005; Aktenzeichen 3 O 327/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15.12.2005 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.134,05 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.6.2005 zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 6 % und die Beklagte 94 % zu tragen..
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 35.000 EUR.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte, die ihn in einem Kündigungsschutzverfahren vor dem ArbG Detmold (3 Ca 1211/02) vertreten hatte, in Regress.
Der am 4.9.1949 geborene Kläger war seit dem 7.6.1979 bei der O. GmbH & Co. KG als Versandarbeiter mit einem monatlichen Bruttolohn von (im Durchschnitt) zuletzt 2.975,83 EUR angestellt. Durch Beschluss des AG Detmold vom 1.4.2002 (10a IN 23/02) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und Rechtsanwalt O in D. zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 21.4.2002 informierte der Insolvenzverwalter den Betriebsrat von seiner Absicht, den Betrieb der Insolvenzschuldnerin stillzulegen und die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer zu kündigen. Mit Schreiben vom 30.4.2002 sowie nochmals mit weiterem Schreiben vom 24.5.2002 kündigte der Insolvenzverwalter mit der Begründung einer Betriebsstillegung die Arbeitverhältnisse des Klägers und einer Vielzahl weiterer Arbeitnehmer. Am 11.7.2002 wurde für die Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin ein Sozialplan vereinbart; die endgültige Schließung des Betriebs erfolgte am 31.7.2002.
Die Beklagte übernahm am 13.5.2002 im Auftrag der zuständigen Fachgewerkschaft die Vertretung des Klägers und erhob mit Klageschrift vom selben Tage Kündigungsschutzklage vor dem ArbG Detmold. Das Verfahren wurde durch Vergleich vom 3.11.2003 der für eine Vielzahl von Arbeitnehmern denselben Inhalt hatte, beendet. Insoweit wird auf die Anlage K 5 zur Klageschrift verwiesen. Der Kläger erhielt auf der Grundlage der im Vergleich getroffenen Regelungen aus dem Sozialplan eine Zahlung des Insolvenzverwalters von 2.087,99 EUR.
Der Kläger hat in erster Instanz geltend gemacht, der Insolvenzverwalter habe ohne Versuch eines Interessenausgleichs eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG durchgeführt, da er die Kündigungen vom 30.4.2002 vor Einigung mit dem Betriebsrat und ohne Anrufung der Einigungsstelle ausgesprochen habe. Die Beklagte schulde ihm Schadensersatz, da sie es verabsäumt habe, hieraus die Konsequenzen zu ziehen und vor Abschluss des Vergleichs den ihm zustehenden Nachteilsausgleich aus § 113 BetrVG geltend zu machen. Den Schaden hat er bei einer Betriebszugehörigkeit von 23 Jahren mit 23: 2 × 2.975,83 EUR = 34.222,04 EUR beziffert.
Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 34.222,04 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.6.2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass es einen Interessenausgleich nicht gegeben habe. Der Abschluss des Sozialplans vor Durchführung der unternehmerischen Maßnahme begründe überdies die Vermutung, dass eine Verständigung auch hinsichtlich des Interessenausgleichs vorgelegen habe.
Durch das angefochtene Urteil hat das LG die Klage abgewiesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel unter Reduzierung um die aus dem Sozialplan erhaltene Zahlung weiter und beantragt nach Teilrücknahme der Klage, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 32.134,05 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.6.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die Berufung hat nach Teilrücknahme der Klage uneingeschränkt Erfolg. Die Beklagte ist dem Kläger aus §§ 280 Abs. 1, 328, 675 BGB zum Schadensersatz in Höhe eines Betrages von 32.134,05 EUR verpflichtet, weil sie es pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen hat, gegen den Insolvenzverwalter der O. den Nachteilsausgleichsanspruch des Klägers aus § 113 Abs. 3 BetrVG geltend zu machen.
Im Einzelnen:
I. Das Ermitteln und Geltendmachen des dem Kläger (nach der am 30.4.2002 ausgesprochenen Kündigung) zustehenden Nachteilsausgleichsanspruchs war von dem der Beklagten übertragenen Mandat umfasst. Denn die mit dem Auftrag zur Erhebung der Kündigungsschutzklage begründete anwaltliche Berat...