Leitsatz (amtlich)

1.Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (GRUR 2018, 1288 - Die F.-Tonbänder), wonach der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit es regelmäßig erfordert, dem Antragsgegner in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Erlass einer Beschlussverfügung rechtliches Gehör zu gewähren, gilt auch für wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten.

2.Ein nach mündlicher Verhandlung über den Widerspruch (§§ 924, 936 ZPO) ergangenes Urteil, welches die Beschlussverfügung bestätigt (§§ 925, 936 ZPO), kann in der Berufungsinstanz nicht mit Erfolg unter Hinweis auf den Gehörsverstoß anlässlich der Beschlussverfügung angefochten werden, da die angegriffene Entscheidung nicht mehr auf dem ursprünglichen Verstoß beruht.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 4a O 113/17)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 08.05.2018 teilweise abgeändert:

Die Ziffer I.4. der Beschlussverfügung der 4a. Zivilkammer vom 29.09.2017 wird aufgehoben und der zugehörige Antrag der Verfügungsklägerin zu Ziffer I.4. der Antragsschrift vom 28.09.2017 wird zurückgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Verfahrenskosten beider Instanzen haben die Verfügungsbeklagte 75 % und die Verfügungsklägerin 25 % zu tragen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 542 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten ist nur teilweise - nämlich soweit sie den Antrag zu Ziffer I. 4 aus der Antragsschrift vom 28.09.2017 betrifft - begründet.

1. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist die einstweilige Verfügung nicht etwa deshalb insgesamt aufzuheben, weil das Landgericht ohne Anhörung der Verfügungsbeklagten - die unstreitig zuvor auch nicht abgemahnt worden war - eine Beschlussverfügung erlassen und damit deren grundrechtsgleiches Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt hat.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (GRUR 2018, 1288 - Die F.-Tonbänder; vgl. GRUR 2018, 1291 - Steuersparmodell eines Fernsehmoderators) ergibt sich aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, dass ein Gericht (auch) im Presse- und Äußerungsrecht der Gegenseite vor einer stattgebenden Entscheidung über den Antrag einer Partei im Zivilrechtsstreit Recht auf Gehör gewähren muss: Von der Erforderlichkeit einer Überraschung oder Überrumpelung des Gegners kann bei der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Presse- und Äußerungsrecht jedenfalls nicht als Regel ausgegangen werden. Auch wenn insoweit häufig eine Eilbedürftigkeit anzuerkennen ist, folgt hieraus kein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs als solche dem Schuldner verborgen bleibe. Jedenfalls in den Fällen, in denen es um eine bereits veröffentlichte Äußerung geht, besteht regelmäßig kein Grund, von einer Anhörung und Äußerungsmöglichkeit eines Antragsgegners vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung abzusehen. Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit kommt eine stattgebende Entscheidung über einen Verfügungsantrag grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Dabei kann nach Art und Zeitpunkt der Gehörsgewährung differenziert und auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden. Dabei ist auch die Möglichkeit einzubeziehen, es der Gegenseite vorprozessual zu erlauben, sich zu dem Verfügungsantrag zu äußern, wenn sichergestellt ist, dass solche Äußerungen vollständig dem Gericht vorliegen. Hierfür kann - unter bestimmten Voraussetzungen - auch auf die Möglichkeit zur Erwiderung gegenüber einer dem Verfügungsverfahren vorangehenden Abmahnung abgestellt werden. Von alledem zu unterscheiden ist die Frage, wann über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 937 Abs. 2 ZPO).

Vorstehende Grundsätze sind auf das Verfahrensrecht des unlauteren Wettbewerbs zu übertragen (vgl. Schlüter, in: GRUR-Prax 2018, 530). Die prozessuale Situation, für die das Bundesverfassungsgericht die vorgenannten Kriterien entwickelt hat, unterscheidet sich nicht von der vorliegenden. Auch im Wettbewerbsprozess darf das Gericht den Antragsgegner regelmäßig nur dann auf eine nachträgliche Anhörung verweisen, wenn im Einzelfall ansonsten der Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens verhindert würde. Dies gilt erst recht, wenn - wie hier - auf der Basis des Lauterkeitsrechts die Unterlassung von Äußerungen in einer bereits veröffentlichten Pressemitteilung geltend gemacht wird.

b) Demnach hätte das Landgericht mangels einer vorprozessual erfolgten Abmahnung der Verfügungsbeklagten dieser vor dem Erlass der Beschlussverfügung zunächst rechtliches Gehör gewähren müssen. Irgendwelche Gründe, die einer selbst kurzfristigen Möglichkeit zur Stellungnahme der Verfügungs...

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