Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen Gebrauchtfahrzeugs: Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Hersteller; Restschadensersatzanspruch; Verfahrensaussetzung bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Leitsatz (amtlich)
1. Einem Fahrzeugerwerber, der bis Ende 2016 grob fahrlässig in Unkenntnis von seiner eigenen Betroffenheit blieb, war es im Jahre 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen den Hersteller aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen. (Rn. 50)
2. Ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass der Hersteller im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat (vgl. u.a. BGH, 17. Dezember 2020, VI ZR 739/20). (Rn. 75)
3. Bei einem Gebrauchtwagenverkauf, der zwischen dem Geschädigten und einem Dritten abgeschlossen wird, partizipiert der Hersteller weder unmittelbar noch mittelbar an einem etwaigen Verkäufergewinn aus diesem Kaufvertrag, sei es, dass der Gebrauchtwagen von einer Privatperson oder von einem Händler an den Geschädigten verkauft wurde. Deshalb scheidet in diesen Fällen ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB aus. (Rn. 77)
4. Eine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszusetzen, besteht im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte nicht. (Rn. 80)
5. Bei den zur Umsetzung der Richtlinie 2007/46/EG erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. (Rn. 83)
Normenkette
BGB §§ 31, 199 Abs. 1 Nrn. 1, 2 Alt. 2, § 823 Abs. 2, §§ 826, 852 S. 1; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2; ZPO § 148
Verfahrensgang
LG Krefeld (Urteil vom 25.08.2021; Aktenzeichen 2 O 525/20) |
Tenor
1. Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das am 25.08.2021 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld (2 O 525/20) wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die beklagte ... auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einem von ihm am 22.04.2015 mit einer Laufleistung von 21.767 km zu einem Kaufpreis von 35.976 EUR gebraucht erworbenen, von der Beklagten mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestatteten, PKW der Marke VW Tiguan 2.0 TDI in Anspruch.
Wegen des weiteren Sachverhalts und der erstinstanzlichen Anträge wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen, soweit diese den in diesem Urteil getroffenen Feststellungen nicht widersprechen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Zwar hat es den in der ersten Instanz in der Hauptsache gestellten Feststellungsantrag als zulässig erachtet, weil nach dem Aufspielen des Software-Updates die hinreichende Wahrscheinlichkeit weiterer, noch unbezifferbarer Schäden bestehe und nach dem Klagevorbringen nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Schadensentwicklung abgeschlossen sei. Die Klage sei jedoch unbegründet, weil weder der Feststellungsanspruch noch der hilfsweise geltend gemachte Auskunftsanspruch bestehe.
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 sei jedenfalls nicht durchsetzbar. Dem Kläger stehe auch kein - hilfsweise geltend gemachter - Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB zu. Die Verjährungsfrist habe vorliegend mit dem Ablauf des Jahres 2016 begonnen und mit Ablauf des Jahres 2019 geendet, so dass durch die (später) erhobene Klage keine Hemmung der Verjährung mehr habe eintreten können. Der Kläger sei nach Überzeugung der Kammer jedenfalls im Jahr 2016 grob fahrlässig in Unkenntnis der anspruchsbegründenden Voraussetzung geblieben. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger von der allgemeinen Berichterstattung ohne weiteres auf die Betroffenheit seines Fahrzeuges habe schließen können. Maßgeblich sei, dass er gewusst habe, welches Fahrzeug er fahre, dass es mit einem Dieselmotor ausgestattet und wer dessen Hersteller sei. Angesichts des dezidierten Vortrags der Beklagten zur Medienberichterstattung, die im Herbst 2015 begonnen habe und, wie gerichtsbekannt, über einen längeren Zeitraum angedauert habe, habe der Kläger nicht hinreichend vorgetragen, warum er spätestens in 2016 noch keine Kenntnis vom Dieselskandal und der möglichen Betroffenheit seines Fahrzeuges gehabt habe, zumal 2016 mit den Software-Updates begonnen worden sei. Auch habe der Kläger trotz der sich aufdrängenden möglichen Betroffenheit keinerlei Erkundigungen vorgenommen, welche 2016 einfach durchzuführen gewesen seien. Der Kläger habe nicht einfach abwarten und darauf vertrauen dürfen, dass er schon von der Beklagten oder einem Händler informiert werden würde. Darüber hinaus habe der Kläger - dem ein entsprechender individueller Vortrag im Rahmen der sekundären Darlegungslast anders als der Beklagten möglich sei ...