Verfahrensgang

LG Neuruppin (Aktenzeichen 1 O 286/20)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 25.05.2021, Az. 1 O 286/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Neuruppin sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des von ihr zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 52.604.60 EUR

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. VW-Abgasskandal geltend.

Er erwarb bei einem Dritten im Dezember 2011 einen neuen Audi A4 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ("Nummer 01") zum Preis von 45.055,45 EUR und im November 2012 einen gebrauchten VW Caddy mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ("Nummer 02") zum Preis von 20.000 EUR.

Beide Fahrzeuge sind mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 und waren mit einer Manipulationssoftware ausgestattet, deren Herstellerin die Beklagte ist. Der Motor verfügte über ein Abgasrückführungssystem mit zwei Betriebsmodi. Auf dem Prüfstand spielte die Software einen Abgasrückführungsmodus ab, bei dem anders als im Normalbetrieb geringere Stickoxidwerte ausgestoßen wurden.

Die Beklagte informierte die Öffentlichkeit im September 2015 darüber, dass alle Dieselmotoren des Typs EA 189 über die manipulierte Software verfügten. Es folgte eine umfangreiche mediale Berichterstattung. In der zweiten Hälfte des Jahres 2016 teilte die Beklagte dem Kläger schriftlich mit, dass seine Fahrzeuge ab Werk mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden seien und ein Stilllegungsrisiko bestehe.

Die Beklagte arbeitete mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zusammen. In der Folge stellte die Beklagte ein vom KBA freigegebenes Software-Update bereit, um den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Der Kläger ließ die Software-Updates auf beide Fahrzeuge aufspielen.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, Schadensersatzansprüche seien nicht verjährt. Die Verjährungsfrist könne erst mit einer höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu laufen beginnen. Jedenfalls bestehe ein gleicher Anspruch aus § 852 S. 1 BGB. Mit dem Software- Update sei ein Thermofenster installiert worden. Dabei handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Auch diesbezüglich stünden ihm Schadensersatzansprüche zu.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Auch ein Anspruch aus § 852 BGB stehe dem Kläger nicht zu. Die Norm sei teleologisch zu reduzieren, weil durch die Schaffung der Musterfeststellungsklage das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Prozessrisikos nicht erfüllt sei. Darüber hinaus habe sie durch die Fahrzeugkäufe des Klägers nichts erlangt. Bei dem Thermofenster handele es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Jedenfalls liege diesbezüglich keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB seien nicht mehr durchsetzbar, denn sie seien verjährt. Die Verjährung habe spätestens mit Ablauf des Jahres 2019 eingesetzt. Der Kläger habe jedenfalls seit dem Jahr 2016 positive Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen. Ihm sei in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 von der Beklagten schriftlich mitgeteilt worden, dass die Fahrzeuge ab Werk jeweils mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden seien. Die dreijährige Verjährungsfrist habe daher gem. §§ 195,199 Abs. 1 BGB jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen und spätestens mit Ablauf des Jahres 2019 geendet.

Dem Kläger stünden auch keine Ansprüche auf Rückzahlung der Kaufpreise aus § 852 S. 1 BGB zu. Die Vorschrift gelange hier nicht zur Anwendung. Die Anwendung müsse angesichts von Sinn und Zweck der Norm auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen der Anspruchsteller wegen eines besonderen Prozessrisikos eine zusätzliche "Bedenkzeit" über den deliktischen Verjährungseintritt hinaus brauche und verdiene.

Zudem liege der Gebrauchtwagenkauf des VW Caddy auf dem sog. "Zweitmarkt" unabhängig davon, ob er unmittelbar "von Privat an Privat" oder über einen Gebrauchtwagenhändler innerhalb oder außerhalb des Herstellervertriebsnetzes erfolge, außerhalb der Wertschöpfungskette des Herstellers.

Was die Beklagte durch den Erwerb des Neuwagens Audi A4 erlangt haben solle, lasse sich auf der Grundlage des Vortrags der Parteien nicht ermitteln. Entgegen dem Vortrag des Klägers habe die Beklagte keineswegs den Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge in Höhe von 10% erlangt. Die Beklagte habe bereicherungsrechtlich allenfalls den Nettogewinn erlangt, der nicht annähernd eine solche Größenordnung erreichen dürfte.

Der zur Entscheidung gestellte Hilfsantrag zu 7) - Manipulationssoftware und Thermofenster - habe ebenfal...

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