Leitsatz (amtlich)

Die Vorbefassung eines Sachverständigen in einem Gutachter- und Schlichtungsverfahren der Landesärztekammer Hessen stellt für sich gesehen keinen Ablehnungsgrund dar.

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 10.06.2010; Aktenzeichen 2/04 O 535/09)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des LG Frankfurt/M. vom 10.06.2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert beträgt 292.498,32 EUR.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von der beklagten Krankenhausträgerin Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer vermeintlichen ärztlichen Fehlbehandlung vom Dezember 2005 in deren Klinik. Sie wirft den Ärzten der Beklagten Behandlungsfehler in Form mangelnder Befunderhebung vor, aufgrund derer ihre schwerwiegende hirnorganische Erkrankung zu spät aufgedeckt worden sei, was zu irreparablen Schäden geführt habe.

Das LG hat einen Beweisbeschluss erlassen, durch den der bereits im Verfahren der Gutachter- und Schlichtungsstelle der Landesärztekammer Hessen tätige medizinische Sachverständige Prof. Dr. med. X, Universitätsklinik Z, zum Gutachter bestellt worden ist. Die Beklagte hat den Sachverständigen wegen dieser Vorbefassung abgelehnt, weil sie die Besorgnis seiner Befangenheit hegt. Durch den angefochtenen Beschluss hat das LG den Ablehnungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, mit der die Beklagte ergänzend vorträgt, das im Gutachter- und Schlichtungsverfahren erstellte Gutachten von Herrn Prof. Dr. X sei unvollständig. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Das Rechtsmittel ist nicht begründet. Ein gerichtlicher Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 S. 1 ZPO). In Betracht kommt hier lediglich eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dies setzt voraus, dass in den Augen einer besonnenen Partei ein Grund gegeben ist, der bei verständiger Würdigung geeignet ist, ihr Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (vgl. BGH NJW 1975, 1363). Es genügt, dass die Partei aus ihrer Sicht mit einer plausiblen, gedanklich nachvollziehbaren Erklärung Zweifel an der Unbefangenheit des Sachverständigen haben kann (vgl. Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 4. Aufl., § 20 Rz. 3).

1. Die Vorbefassung eines Sachverständigen im Gutachter- und Schlichtungsverfahren stellt für sich gesehen keinen Ablehnungsgrund dar. Die Besorgnis, der Gutachter werde von seinen bisherigen Feststellungen nicht mehr abweichen, lässt sich nicht objektivieren, weil der Sachverhalt im Rechtsstreit umfassend aufgeklärt werden kann und weil es der Beklagten unbenommen bleibt, etwaige Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Richtigkeit der gutachterlichen Feststellungen vorzubringen.

Das LG hat bereits mit Recht darauf hingewiesen, dass die Begutachtung im Gutachter- und Schlichtungsverfahren nicht mit einem Privatgutachten vergleichbar ist. Ausweislich der auf der Homepage der Landesärztekammer Hessen (http://www.laekh.de") allgemein zugänglichen Satzung ist deren Gutachter- und Schlichtungsstelle von den Weisungen der Landesärztekammer unabhängig, die Beteiligung an dem Verfahren für Patienten und Ärzte freiwillig und durch die Verfahrensausgestaltung eine weitgehende Neutralität der Begutachtung garantiert.

Vor diesem Hintergrund ist die sachverständige Begutachtung in einem Verfahren vor der Gutachter- und Schlichtungsstelle der Landesärztekammer Hessen am ehesten mit einer Vorbefassung in einem gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Verfahren vergleichbar. Eine derartige Vorbefassung stellt nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich für sich allein keinen Befangenheitsgrund dar (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., Rz. 9 zu § 406 ZPO). Auch die Vorbefassung in einem Gutachter- und Schlichtungsverfahren wird daher in Literatur und Rechtsprechung nicht als Befangenheitsgrund gewertet (vgl. OLG Braunschweig MDR 1990, 730 = MedR 1990, 356; OLG Brandenburg IBR 2009, 744; Jessnitzer-Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., 6. Kap., Rz. 203; Laufs-Katzenmeier, Arztrecht, 6. Aufl., Kap. XII, Rz. 19; Enders in FS Egon Schneider, S. 429). Die von der Beklagten vorgetragenen Ausführungen von Ulsenheimer (Bl.. 140d. A."unter Hinzuziehung anderer Sachverständiger durchgeführt werden kann oder muss..") stützen die Rechtsauffassung der Beklagten nicht.

Die Erwägungen des LG lassen sich ferner mit dem Stellenwert vereinbaren, den der BGH derartigen Gutachten beimisst. Medizinische Gutachten aus vorangegangenen Verfahren ärztlicher Schlichtungsstellen sind - wie beispielsweise Gutachten aus vorangegangenen Prozesskostenhilfeverfahren oder Gutachten aus Ermittlungsverfahren - grundsätzlich urkundsbeweislich verwertbar (BGH VersR 2008, 1216, 1217; BGH NJW 1987, 2300, 2301).

2. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der Sachverstä...

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