Leitsatz (amtlich)

Zur Berücksichtigung des Kindeswohls und zur Abwägung der Elternrechte bei der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, wenn der betreuende Elternteil einen Umzug in einen weiter entfernten Ort plant oder durchführt, in dessen Folge der Umgang des nicht betreuenden Elternteils mit dem Kind erschwert wird.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stadt1 vom 10. August 2021 dahingehend abändert, dass der Kindesmutter - unter Zurückweisung des gegenläufigen Antrags des Kindesvaters - das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder Vorname1 B, geboren am XX.XX.2014, und Vorname2 B, geboren am XX.XX.2016, zur alleinigen Ausübung übertragen wird.

Im Übrigen bleibt es bei den Anordnungen des angefochtenen Beschlusses.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Kindeseltern streiten über den künftigen Lebensmittelpunkt ihrer beiden Kinder.

Die im Jahr 1992 geborene Kindesmutter und der im Jahr 1978 geborene Kindesvater stammen aus Syrien und haben dort (wohl arrangiert durch ihre jeweiligen Familien) im Jahr 2013 die Ehe miteinander geschlossen. Am XX.XX.2014 kam ihr Sohn Vorname1 zur Welt. Wegen des Bürgerkriegs in Syrien haben die Kindeseltern ihr Heimatland Anfang des Jahres 2015 verlassen. Die Kindesmutter ist mit einer Gruppe von Verwandten einige Tage früher als der Kindesvater geflüchtet, der zu jenem Zeitpunkt noch nicht alle erforderlichen Papiere zusammen hatte. Nach verschiedenen Stationen in Auffang- und Flüchtlingsunterkünften lebten die Kindeseltern seit Ende des Jahres 2015 gemeinsam in Stadt1. Am XX.XX.2016 kam ihr Sohn Vorname2 zur Welt. Im August/September 2019 trennten sich die Kindeseltern, wobei der Kindesvater auf Wunsch der Kindesmutter die gemeinsame Wohnung verließ; die beiden Kinder verblieben in der Obhut der Kindesmutter. Beide Kindeseltern sind der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig.

Auf Anregung der Kindesmutter wurde im Januar 2020 ein Umgangsverfahren eingeleitet (AG Stadt1 - ...). Gleichzeitig beantragte die Kindesmutter seinerzeit das alleinige Sorgerecht für die beiden Kinder (AG Stadt1 - ...) und trug zur Begründung vor, dass sie nicht wisse, wo der Kindesvater wohne und wie sie diesen erreichen könne. Im Umgangsverfahren teilte sie mit, dass der Kindesvater die Kinder mitunter ohne jegliche Rücksprache mit der Kindesmutter vom Kindergarten abhole und sie dann irgendwann (zum Teil Tage später) wieder zurückbringe. Zudem scheine er in Gegenwart der Kinder schlecht über die Kindesmutter zu reden. Daher müssten die Umgangskontakte klar geregelt und zunächst auch begleitet werden. Die Kindeseltern verständigten sich im Umgangsverfahren zunächst auf (unbegleitete) Umgangskontakte jeden Mittwoch und Samstag. Zudem erteilte der Kindesvater der Kindesmutter eine Sorgerechtsvollmacht. Im weiteren Verlauf einigten sich die Kindeseltern unter Zuhilfenahme des hiesigen Jugendamts darauf, dass die Kinder jedes Wochenende bei ihrem Vater verbringen.

Im August 2020 wurde auf Anregung des Kindesvaters ein weiteres Umgangsverfahren eingeleitet (AG Stadt1 - ...). Der Kindesvater trug vor, dass einige Umgangskontakte ausgefallen seien. Zudem mache er sich Sorgen um seine Kinder, die sich in der Obhut der Kindesmutter immer mal wieder Verletzung zuzögen. Die Kindesmutter behauptete in diesem Verfahren, dass sie sich durch den Kindesvater verfolgt und kontrolliert fühle. Er wolle nicht, dass sie und die Kinder Kontakt zur Verwandtschaft der Kindesmutter hätten, und halte sich für befugt zu bestimmen, mit welchen Personen die Kinder in der Obhut der Kindesmutter zusammentreffen dürften. Den Verwandten der Kindesmutter in Syrien seien bereits Repressalien für den Fall angedroht worden, dass die Kindesmutter sich in Deutschland nicht den Vorstellungen des Kindesvaters füge. Die Kindeseltern verständigten sich schließlich am 3. September 2020 auf 14-tägige Umgangskontakte von samstags 10 Uhr bis sonntags 18 Uhr. Die Vereinbarung einer längeren Umgangszeit von freitags bis montags scheiterte am Kindesvater, der von Beruf Beruf1 ist und seinerzeit davon ausging, bald einen Arbeitsvertrag unterschreiben zu können und dann freitags sowie montags keine Zeit für seine Söhne zu haben.

Das vorliegende Sorgerechtsverfahren (AG Stadt1 - ...) hat die Kindesmutter Ende Oktober 2020 eingeleitet, nachdem sie sich entschlossen hatte, mit den Kindern nach Stadt2 umzuziehen und dort ihren neuen Lebensmittelpunkt zu begründen. Sie hat ihren Umzugswunsch u.a. damit begründet, dass in der Nähe von Stadt2 ein Teil ihrer Verwandten (z.B. ihre Schwester mit Mann und Kindern) lebe, so dass sie dort familiär angebunden wäre. Da der Kindesvater mit dem Umzug der Kindesmutter bzw. der Mitnahme der Kinder nicht einverstanden sei, müsse eine gerichtliche Regelung erfolgen und der Kindesmutter das alleinige Au...

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