Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftfortdauerprüfung
Leitsatz (amtlich)
Der Annahme von Wiederholungsgefahr steht es nicht entgegen, dass eine Vortat nur mit jugendlichen Zuchtmitteln geahndet wurde.
Normenkette
StPO § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2; GG Art. 17
Verfahrensgang
LG Gießen (Entscheidung vom 29.10.2018; Aktenzeichen 1 Qs 18/18) |
Tenor
Die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Gießen vom 29. Oktober 2018 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Die zulässige weitere Beschwerde (§ 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO) gegen den Beschluss des Landgerichts Gießen vom 29. Oktober 2018, mit dem dieses die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Amtsgerichts Gießen vom 11. September 2018 verworfen hat, hat in der Sache keinen Erfolg. Insbesondere kann, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat, auf die Nachholung eine Nichtabhilfeentscheidung durch das Landgericht Gießen verzichtet werden. Eine Zurückverweisung zur Nachholung der Abhilfeentscheidung kommt nur in Betracht, wenn dadurch das Verfahren beschleunigt wird oder das Beschwerdegericht an einer sofortigen eigenen Sachentscheidung gehindert ist (Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 61. Aufl., § 306 Rn. 10). Das ist hier nicht der Fall.
Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Amtsgerichts Gießen vom 6. April 2018 nach Maßgabe des Beschlusses vom 19. April 2018 (.../18) sowie des Urteils des Amtsgerichts Gießen vom 11. September 2018 und der am selben Tag getroffenen Haftfortdauerentscheidung zur Last gelegten Straftat des besonders schweren Raubes (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht gründet sich auf die Feststellungen des Urteils. Auch wenn der Angeklagte gegen dieses Urteil Rechtsmittel eingelegt hat, ist für die Annahme des dringenden Tatverdachts auf die Würdigung des Tatgerichts zurückzugreifen (Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 61. Aufl., § 112 Rn. 7; Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl.; § 112 Rn. 7a jeweils m.w.N.). Denn das Ergebnis der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung, das im Urteil seinen Niederschlag gefunden hat, kann das Beschwerdegericht grundsätzlich nicht anders nachvollziehen, als das Tatgericht es vermittelt (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 3. Januar 2014, Az. 1 Ws 206/13 m.w.N.). Es besteht im vorliegenden Verfahren kein Anlass, davon ausnahmsweise abzusehen.
Es besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1, S. 1 Nr. 2 StPO. Die Vorschrift des § 112a Abs. 2 S.1 Nr. 2 StPO gilt auch bei der Anwendung von materiellem Jugendstrafrecht sinngemäß (OLG Celle, Beschluss vom 19. Dezember 2013, Az. 1 Ws 561/13; OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. Mai 2008, Az. Ws 188/08; Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 112a Rn. 21; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 112a Rn. 10). Die Gegenansicht, die allein auf die formelle Erwägung abstellt, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift die Annahme von Wiederholungsgefahr die Erwartung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zur Voraussetzung hat und eine Jugendstrafe einer solchen nicht gleichsteht (Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 72 Rn. 7a), überzeugt nicht.
Der Angeklagte ist dringend verdächtig, mit der ihm vorgeworfenen Tat vom XX.XX.2018 wiederholt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat begangen zu haben.
Die dem Angeklagten mit dem Haftbefehl zur Last gelegte Tat des besonders schweren Raubes gemäß §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB fällt in den Katalog der Taten nach § 112a Abs. 1, S. 1 Nr. 2 StPO. Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Gießen vom 22. Februar 2018 wurde der Angeklagte außerdem bereits unter anderem wegen versuchten besonders schweren Raubes nach §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, und damit wegen einer gleichartigen Katalogtat zur Ableistung von 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Da die Katalogtaten des § 112a Abs. 1, S. 1, Nr. 2 StPO schon generell schwerwiegender Natur sind, kommen als Anlasstaten allerdings nur solche in Betracht, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen (Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 112a Rn. 18). Dies ist der Fall, wenn die betreffenden Taten nicht nur im Unrechtsgehalt und im Schweregrad überdurchschnittlich wiegen, wobei jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach den erforderlichen Schweregrad aufweisen muss, sondern auch geeignet sind, in weiten Teilen der Bevölkerung das Gefühl der Geborgenheit im Recht zu beeinträchtigen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 112a Rn. 9 m.w.N.).
Der dem Angeklagten mit dem Haftbefehl vorgeworfene besonders schwere Raub weist bereits auf Grund der Tatausführung und den Tatfolgen (Schläge mit dem Totschläger auf den Kopf des Geschädigten, Messerstich in den linken Oberkörper des Geschädigten mit Verletzungen des Lungenfells) zweifellos einen überdurchschni...