Leitsatz (amtlich)

Ein nachhaltiger Dissens über die weitere Durchführung des Wechselmodells nach dem von einem Elternteil angestrebten dauerhaften Wechsel des Kindes in seinen Haushalt kann die Annahme einer fehlenden Kooperations- und Konsensbereitschaft der getrennt lebenden Eltern und damit die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Bereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts rechtfertigen, § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB.

Ein Sachverständigengutachten kann in Kindschaftsverfahren im Einzelfall auch dann gerichtlich verwertbar sein, wenn der Sachverständige mit der Durchführung der Testdiagnostik und der Interaktionsbegutachtung zwar einen Teil der Begutachtung einer Hilfskraft übertragen hat, sich aber durch mehrfache Gespräche mit den Probanden einen eigenen Eindruck von diesen verschafft hat, sich die Ergebnisse der (standardisierten) Testverfahren unabhängig von der Person des Versuchsleiters auswerten lassen und schließlich der vom Sachverständigen ermittelte Kindeswille mit den Beobachtungen der übrigen Verfahrensbeteiligten und des Gerichts übereinstimmt.

Ist der autonom gebildete und rational begründete Kindeswille kontinuierlich auf die Beibehaltung eines von den Eltern bislang praktizierten, aber nur im Haushalt eines der beiden Elternteile auch künftig gewährleisteten Wechselmodells gerichtet, kann dies zumindest bei Fehlen entgegenstehender anderer Kindeswohlgesichtspunkte die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf diesen Elternteil rechtfertigen (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 1093-1096, Rn. 23).

 

Normenkette

BGB § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Bad Homburg (Aktenzeichen 92 F 1207/16)

 

Tenor

Beide Beschwerden werden zurückgewiesen.

Den Kindeseltern werden die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte auferlegt. Von der Anordnung einer Erstattung der außergerichtlichen Kosten wird abgesehen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Aus der Ehe der getrennt lebenden, aber gemeinsam sorgeberechtigten Kindeseltern sind die Söhne B, geb. ....2005, und A, geb. ... 2009, hervorgegangen. Streitig ist, ob und in welchem Umfang der Kindesvater, Beamter bei ..., und die Kindesmutter, leitende Mitarbeiterin in ..., nach ihrer Trennung das Wechselmodell praktiziert haben. Jedenfalls hielten sich die Kinder zumindest zunächst gleichmäßig in den jeweiligen elterlichen Haushalten auf. Die Eltern befinden sich seit ihrer Trennung nahezu durchgängig in gerichtlich ausgetragenen Auseinandersetzungen zu kindschafts- und vermögensrechtlichen Fragen.

In vorliegendem Verfahren hob das Familiengericht mit Beschluss vom 21. August 2017 auf beiderseitigen Antrag der Eltern auf Übertragung der alleinigen Sorge für beide Kinder unter Zurückweisung der Anträge im Übrigen die gemeinsame elterliche Sorge mit dem Teilbereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf und übertrug dieses für B auf die Kindesmutter, für A auf den Kindesvater. Begründet wurde die Entscheidung des Familiengerichts über die teilweise Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge mit der Kooperationsunfähigkeit der Eltern, hinsichtlich der - teils entgegen der Empfehlung der Sachverständigen X in dem vom Familiengericht eingeholten Gutachten erfolgten - Verteilung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf Kindesvater bzw. -mutter primär mit dem erklärten Kindeswillen. Soweit sich A möglicherweise aus Furcht, seinen Vater dann nicht mehr sehen zu können, nicht für einen Aufenthalt bei einem der Elternteile, sondern für eine Beibehaltung des Wechselmodells ausgesprochen habe, sei dieser autonom und überlegt gebildete Wunsch zu respektieren. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt des Beschlusses Bezug genommen.

Seit Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung lebt B bei seiner Mutter, A bei seinem Vater. Während B seinem Wunsch entsprechend wenig Umgang mit seinem Vater hat, verbringt A regelmäßig jede zweite Woche bei seiner Mutter.

Gegen die am 25.08.2017 zugestellte Entscheidung wendet sich der Kindesvater mit der vom 20.09.2017 datierenden und am selben Tag beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Er beantragt die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für beide Kinder auf sich und trägt zur Begründung vor, die Kindesmutter sei alkoholkrank, ihr fehlten die erforderliche Erziehungseignung und Bindungstoleranz. Sie agiere hinsichtlich der die Kinder betreffenden Angelegenheiten an ihm vorbei, sehe mit beiden Söhnen Filme mit FSK 12-Zulassung an und lasse zu, dass B fünf Stunden am Tag mit seinem Smartphone verbringe. Die Erledigung der Hausaufgaben werde von ihr nicht hinreichend kontrolliert. B leide, seit er seinen Aufenthalt bei der Kindesmutter habe und nicht mehr - wie zuvor - wöchentlich zwischen den elterlichen Haushalten wechsele, unter psychischen Problemen. Seine schulischen Leistungen hätten sich signifikant verschlechtert, er habe Probleme mit Gewalt und leide unter dem elterlichen Konflikt. Das Sachverständigengutachten...

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