Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgerechtsübertragung bei häuslicher Gewalt
Leitsatz (amtlich)
1. Vom Kindesvater verübte häusliche Gewalt, Nachstellungen und Bedrohungen gegenüber der Kindesmutter können es im Einzelfall im Hinblick auf Art. 31 GewSchÜ (Istanbul-Konvention) gebieten, das Sorgerecht für ein gemeinsames Kind auf die Mutter zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
2. Von einem Kind miterlebte Gewalt gegen seine Mutter ist als eine spezielle Form der Kindesmisshandlung zu bewerten.
3. Der gewaltbetroffene Elternteil kann in der Regel auch nicht zu einer Restkooperation mit dem anderen Elternteil verpflichtet werden, so dass auch die Erteilung einer vom gewalttätigen Elternteil umfassend erteilten Sorgevollmacht eine Alleinsorge des betreuenden Elternteils nicht entbehrlich macht.
Verfahrensgang
AG Dieburg (Beschluss vom 26.06.2024; Aktenzeichen 54 F 84/24 SO) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kindesvater.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 4. (im Folgenden Kindesvater) wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Übertragung des Sorgerechts für die vorliegend betroffenen, derzeit neun- und fünfjährigen Kinder, auf die Beteiligte zu 5. (im Folgenden Kindesmutter) allein. Die Kinder leben seit der Trennung der Eltern im Oktober 2020 bei der Kindesmutter. Die Eltern sind mittlerweile geschieden.
Auf Antrag der Kindesmutter wurde gegen den Kindesvater mit Beschluss vom 25. Mai 2021 ein Näherungs- und Kontaktverbot für die Dauer von sechs Monaten ausgesprochen (Amtsgericht Dieburg, Az. ...). Bei der im Rahmen dieses Verfahrens geschlossenen Vereinbarung verpflichtete sich der Kindesvater, sich der Kindesmutter bis zum 28. Dezember 2021 nicht zu nähern. Die Eltern verständigten sich in dem Verfahren auf begleiteten Umgang zwischen dem Kindesvater und den betroffenen Kindern. Nachdem der Kindesvater die Zusammenarbeit mit dem Träger ablehnte, wurde die Maßnahme im Mai 2022 beendet. In der Folgezeit gewährte die Kindesmutter dem Kindesvater selbständig Umgang, unter anderem in ihrer Wohnung.
Am 30. November 2023 beantragte die Kindesmutter erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem GewSchG (Amtsgericht Dieburg, Az. ...). Zur Begründung trug sie vor, dass der Kindesvater sie bei einem Besuch in ihrer Wohnung am 25. November 2023 im Zuge einer Auseinandersetzung um ihr Handy im Beisein der beiden Kinder in das Kinderzimmer geschubst und zu ihr gesagt habe "Ich habe nur auf diesen Moment gewartet. Ich bringe dich um". Dann habe er ihr ins Gesicht und in den Nackenbereich geschlagen. Er habe sich immer mehr in seine Wut hineingesteigert und sie zu Boden geworfen. Sie habe eine Hautabschürfung und eine Knie- und Rippenprellung erlitten, was im Befundbericht des ärztlichen Bereitschaftsdienstes vom 26. November 2023 dokumentiert sei. Auf den Befundbericht wird wegen der Einzelheiten verwiesen. Er habe sie nochmals mit dem Tod bedroht und geäußert "Ich bringe dich um, dann liegst du neben deinem Vater im Grab". Dann habe er ihr Handy gegen die Wand geschmissen. Das ältere Kind sei aus der Wohnung gerannt, um Hilfe zu holen. Das jüngere Kind habe geschrien. Die Kindesmutter hat ihre Angaben durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht. Im Einzelnen wird auf den Antrag vom 30. November 2023 verwiesen. Mit Beschluss vom 30. November 2023 hat das Amtsgericht gegenüber dem Kindesvater ein Näherungs- und Kontaktverbot für die Dauer von sechs Monaten ausgesprochen. Im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 30. November 2023 verwiesen. Das Verfahren war beigezogen.
Im hiesigen Verfahren hat die Kindesmutter am 05. Februar 2024 die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass eine Kommunikation zwischen den Beteiligten nicht mehr möglich sei. Sie hat auf die gewalttätigen Übergriffe verwiesen, die Gegenstand der einstweiligen Anordnungsverfahren waren. Sie müsse in jedem Fall damit rechnen, dass es erneut zu körperlichen Übergriffen und Drohungen komme, wenn sie versuche, ein vernünftiges Gespräch mit dem Kindesvater zu führen. Dies sei ihr nicht zumutbar, zumal der Kindesvater sich weder an Absprachen halte noch bereit sei, mit irgendjemandem zusammenzuarbeiten. Für den gemeinsamen Sohn stehe ein Therapieplatz zur Verfügung, wofür eine Einverständniserklärung des Kindesvaters erforderlich sei. Für die gemeinsame Tochter sei im kommenden Jahr eine Anmeldung für die Schule erforderlich, bei der der Kindesvater ebenfalls mitwirken müsse. Gleiches gelte hinsichtlich der Pässe für die Kinder.
Die Kindesmutter hat am 30. April 2024 die Verlängerung der einstweiligen Anordnung vom 30. November 2023 beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, das sich der Kindesvater nicht an die Verbote aus dem Beschluss vom 30. November 2023 gehalten habe. Am 14. Dezember 2023 habe er ihr geschrieben "Ruf die Cop...