Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an Erteilung einer anonymisierten Urteilsabschrift nach § 299 II ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

1. An die Erteilung einer anonymisierten Abschrift einer Gerichtsentscheidung sind erheblich geringere Anforderungen zu stellen als an die Gewährung von Akteneinsicht durch einen Dritten nach § 299 Abs. 2 ZPO.

2. Die Gerichtsverwaltung hat bei der Entscheidung über das Gesuch auf Erteilung einer solchen Entscheidungsabschrift etwaige entgegenstehende Interessen insbesondere der Prozessparteien gegen das Informationsinteresse des Dritten nach pflichtgemäßem Ermessen abzuwägen.

3. Im Regelfall wird die Gerichtsverwaltung einem in einem ähnlichen Verfahren beratenden Rechtsanwalt die Erteilung einer anonymisierten Abschrift zu bewilligen haben, sofern nicht ausnahmsweise überwiegende Interessen, insbesondere der Prozessparteien, entgegenstehen.

 

Normenkette

EGGVG § 23; ZPO § 299 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 02.06.2015; Aktenzeichen 145 Ea 72-18)

BGH (Aktenzeichen IV AR/VZ 2/16)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 05.04.2017; Aktenzeichen IV AR(VZ) 2/16)

 

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Gerichtskosten zu tragen.

Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Die Vollziehung des Bescheids des Präsidenten des LG Frankfurt am Main vom 02.06.2015 - Az. 145 Ea 72-18 - wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung ausgesetzt.

Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen einen Bescheid des Präsidenten des LG Frankfurt am Main, mit dem dieser den weiteren Beteiligten die Erteilung einer anonymisierten Entscheidungsabschrift aus den Akten eines Zivilprozesses bewilligte, der dort erstinstanzlich unter dem Aktenzeichen .../11 (Berufung: OLG Frankfurt am Main, Az .../12) anhängig war und an dem die Antragstellerin als Beklagte und Berufungsklägerin beteiligt war.

Mit Schriftsatz vom 13.03.2015 beantragten die weiteren Beteiligten, bei denen es sich um Rechtsanwälte handelt, bei dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main gemäß § 299 Abs. 2 ZPO Akteneinsicht in die Akten des Zivilprozesses mit dem Aktenzeichen .../12 oder (hilfsweise) jedenfalls Übersendung einer Kopie "der Entscheidung" des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Dieser übersandte das Gesuch mit Verfügung vom 27.03.2015 (vgl. Bl. 479 der Akten des genannten Zivilprozesses) an das LG Frankfurt am Main im Nachgang zu den dahin nach Abschluss des Berufungsverfahrens zurückgesandten Akten.

In dem genannten Zivilprozess (im Folgenden Ausgangsverfahren bzw. -prozess) machte die dortige Klägerin Schadensansprüche gegen die hiesige Antragstellerin als Beklagte wegen fehlerhafter Anlageberatung geltend. Die Klage hatte erstinstanzlich Erfolg. Gegen das landgerichtliche Urteil legte die Antragstellerin Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein. Nachdem das Oberlandesgericht unter dem 30.01.2013 einen ausführlich begründeten Beschluss erlassen hatte, in dem es auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen hatte, nahm die Antragstellerin ihre Berufung zurück.

Die Klägerin des Zivilprozesses widersprach dem Akteneinsichtsgesuch mit Anwaltsschriftsatz vom 23.04.2015, die hiesige Antragstellerin als Beklagte des Zivilprozesses widersprach mit Anwaltsschriftsatz vom 04.05.2015 (Bl. 17 ff. d.A.).

Die Antragstellerin führte aus, dass die weiteren Beteiligten kein rechtliches Interesse im Sinne von § 299 Abs. 2 ZPO dargelegt und glaubhaft gemacht hätten, was sie im Einzelnen darlegte. Selbst wenn ein rechtliches Interesse der weiteren Beteiligten an der Einsichtnahme vorläge, stünden jedenfalls überwiegende Geheimhaltungsinteressen der Antragstellerin einer Einsichtsgewährung entgegen. Insbesondere sei das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Antragstellerin auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen. Die Akten, in die Einsichtnahme begehrt werde, enthielten umfangreiche Geschäftsgeheimnisse sowie geschützte Kundendaten. Auch stehe daher das Bankgeheimnis einer Einsichtnahme durch Dritte entgegen.

Die weiteren Beteiligten führten daraufhin mit Schriftsatz vom 12.05.2015 (Bl. 20 f. d.A.) aus, dass es sich bei den Parallelverfahren um solche handele, die ebenfalls die Antragstellerin als Anspruchsgegnerin beträfen. Inhaltlich liege Vergleichbarkeit vor, da es sich jeweils um die rechtliche Bewertung von Anlegerberatungen im Zusammenhang mit Vermögensverwaltungsfonds handele.

Der Präsident des LG teilte daraufhin der weiteren Beteiligten und der Antragstellerin mit Schreiben vom 18.05.2015 (Bl. 22 d.A.) mit, dass es nach seiner Auffassung an einer Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesse durch die weiteren Beteiligten fehle. Auch die Übersendung einer Gerichtsentscheidung sei grundsätzlich nach § 299 Abs. 2 ZPO zu beurteilen. Es werd...

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