Entscheidungsstichwort (Thema)

Unvereinbarkeit einer in einem bilateralen Investitionsabkommen enthaltenen Schiedsklausel mit Unionsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die in Art. 9 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Kroatien über die Förderung und den Schutz von Investitionen vom 19.2.1997 enthaltene Zuweisung von Investitionsstreitigkeiten an ein Schiedsgericht verstößt gegen Unionsrecht.

 

Normenkette

AEUV Art. 267, 344

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 17.11.2021; Aktenzeichen I ZB 16/21)

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass das von den Antragsgegnerinnen mit Schiedsverfahrensanzeige vom 14. Februar 2020 gegen die Antragstellerin eingeleitete schiedsrichterliche Verfahren unzulässig ist.

Die Antragsgegnerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf 5,2 Mio. Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt die Feststellung der Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens, das die Antragsgegnerinnen aufgrund des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Kroatien über die Förderung und den Schutz von Investitionen (im Folgenden: BIT) vom 19.02.1997 gegen die Antragstellerin eingeleitet haben.

Die Antragstellerin ist seit dem 01.07.2013 Mitgliedstaat der EU.

Die Antragsgegnerin zu 1. ist eine österreichische Bank in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht. Sie ist alleinige Gesellschafterin der Antragsgegnerin zu 2., einer kroatischen Bank in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft nach kroatischem Recht. Beide Antragsgegnerinnen erbringen u.a. auch im kroatischen Markt Finanzdienstleistungen.

Die Antragsgegnerinnen haben mit Schiedsverfahrensanzeige vom 14.02.2020 (Anlage AST 1) unter Berufung auf das zwischen der Republik Österreich und der Antragstellerin geschlossene BIT ein Schiedsverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet. Gegenstand des Schiedsverfahrens ist ein von den Antragsgegnerinnen geltend gemachter Schadensersatzanspruch, der sich auf eine von der Antragstellerin vorgenommene Änderung des kroatischen Insolvenzrechts und die Behauptung einer systematischen Verweigerung von Rechtsschutz durch die kroatischen Gerichte stützt.

Das zwischen der Republik Österreich und der Antragstellerin geschlossene BIT enthält u.a. folgende Regelungen:

"Artikel 9

Beilegung von Investitionsstreitigkeiten

(1) Entstehen zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei Streitigkeiten aus einer Investition, so werden diese so weit wie möglich zwischen den Streitparteien freundschaftlich beigelegt.

(2) Kann eine Streitigkeit gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht innerhalb von drei Monaten ab einer schriftlichen Mitteilung hinreichend bestimmter Ansprüche beigelegt werden, wird die Streitigkeit auf Antrag der Vertragspartei oder des Investors der anderen Vertragspartei den folgenden Verfahren unterworfen:

[...].

b) einem Schiedsverfahren durch drei Schiedsrichter in Übereinstimmung mit den UNCITRAL-Schiedsregeln in der jeweils zum Zeitpunkt des Antrages auf Einleitung des Schiedsverfahrens nach der letzten von beiden Vertragsparteien angenommenen Abänderung geltenden Fassung. Im Falle eines Schiedsverfahrens stimmt jede Vertragspartei durch dieses Abkommen auch in Ermangelung einer individuellen Schiedsvereinbarung zwischen der Vertragspartei und dem Investor unwiderruflich im Vorhinein zu, jede solche Streitigkeit dem genannten Schiedsgericht zu unterbreiten.

(3) Der Schiedsspruch ist endgültig und bindend; er wird in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht vollstreckt; jede Vertragspartei hat die Anerkennung und Durchsetzung des Schiedsspruches in Übereinstimmung mit ihren einschlägigen Gesetzen und Rechtsvorschriften zu gewährleisten.

[...]

Artikel 11

Anwendung des Abkommens

(1) Dieses Abkommen findet auf Investitionen Anwendung, die Investoren der einen Vertragspartei in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei in deren Hoheitsgebiet sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten dieses Abkommens getätigt haben, [...]

(2) die Vertragsparteien sind durch dieses Abkommen nicht gebunden, soweit es mit dem jeweils geltenden Rechtsbestand der Europäischen Union (EU) unvereinbar ist.

[...]"

Anstelle einer Darstellung weiterer Einzelheiten wird auf das BIT (Anlage AST 3) Bezug genommen.

Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 01.04.2020 (Anlage AST 6) ein Angebot der Antragsgegnerinnen auf Vereinbarung des Schiedsorts Frankfurt am Main angenommen, nachdem sie die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts gegenüber den Antragsgegnerinnen zuvor bereits mit Schreiben vom 21.01.2020 (Anlage AST 5) sowie nochmals unmittelbar nach der Einleitung des Schiedsverfahrens bestritten hatte.

Die Antragstellerin macht geltend, dass das von den Antragsgegnerinnen eingeleitete Schiedsverfahren unzulässig sei, weil das in Art. 9 Abs. 2 b) BIT enthaltene Schiedsangebot seit dem Beitritt der Antragstellerin wegen eines evidenten Verstoßes gegen das Unionsrecht nicht mehr anwendbar sei ...

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