Leitsatz (amtlich)
Wird eine unzulässige Berufung als – zulässige – Anschlussberufung fortgeführt und nimmt der Gegner seine Berufung zurück, so sind die Kosten des Berufungsverfahrens anteilig nach den Werten der Berufungen zu quoteln.
Normenkette
ZPO § 515 Abs. 3, § 524 Abs. 3 Nr. 6; EGZPO Art. 26 Nr. 5
Verfahrensgang
AG Langen (Hessen) (Aktenzeichen 6 F 338/97) |
Tenor
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagte zu 4/7, der Kläger zu 3/7 zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
Gründe
Gegen ein am 19.12.2001 verkündetes Urteil des AG – FamG – Langen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Berufung der Beklagten ging erst nach Ablauf der Berufungsfrist ein. Der Senat hat einen Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten mit Beschluss vom 5.8.2002 zurückgewiesen. Die Beklagte hat erklärt, dass ihre Berufung als unselbstständige Anschlussberufung fortgeführt werden soll. Der Kläger hat seine Berufung vor der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zurückgenommen.
Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat der Senat wie folgt festgesetzt:
a) Berufung des Klägers 8.316,67 Euro
b) Anschlussberufung der Beklagten 11.295,46 Euro
c) Gesamtwert des Berufungsverfahrens 11.295,46 Euro.
Die Beklagte beantragt, dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen.
Auf den Antrag der Beklagten war über die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens durch den Einzelrichter, dem die Sache zur Vorbereitung der Entscheidung zugewiesen war, zu entscheiden (§§ 515 Abs. 3, 524 Abs. 3 Nr. 6 ZPO in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung i.V.m. Art. 26 Nr. 5 EGZPO).
Die Kosten waren entspr. § 92 ZPO entspr. dem Wert der beiderseitigen Berufungen verhältnismäßig zu teilen, wobei auf die Einzelwerte der beiden Berufungen, die in der Summe den Gesamtwert der Berufung übersteigen, abzustellen war. Nach nahezu einhelliger Meinung sind zwar die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens dem Hauptberufungskläger aufzuerlegen, wenn unselbstständige Anschlussberufung der Gegenseite eingelegt war und der Hauptberufungskläger seine Berufung zu einem Zeitpunkt zurückgenommen hat, zu dem eine Zustimmung des Gegners zur Rücknahme der Hauptberufung nicht erforderlich war (Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 524 Rz. 43 m.w.N.; a.A. OLG Frankfurt v. 16.6.1989 – 1 UF 243/88, FamRZ 1989, 993 sowie v. 17.11.1994 – 6 UF 181/94, FamRZ 1995, 945). Im vorliegenden Fall liegt jedoch die Besonderheit vor, dass die Klägerin nicht eine zunächst zulässige unselbstständige Anschlussberufung eingelegt hatte. Vielmehr hatte sie eine eigene Hauptberufung eingelegt, die jedoch wegen Versäumung der Berufungsfrist unzulässig war und nur deshalb als unselbstständige Anschlussberufung fortgeführt worden ist. Welche Kostenfolge die Rücknahme der zulässigen Hauptberufung in dieser Fallkonstellation hat, wird in der Rspr. der OLG unterschiedlich beantwortet. Während das OLG München (OLG München v. 19.4.1996 – 14 U 791/95, OLGReport München 1996, 141 = NJW RR 1996, 1280) und das OLG Oldenburg (OLG Oldenburg v. 24.7.2002 – 6 U 25/02, MDR 2002, 1208) auch in diesem Fall dem Hauptberufungskläger, der seine Berufung zurückgenommen hat, die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens auferlegen, verteilen der 5. Familiensenat des OLG Frankfurt am Main (OLG Frankfurt v. 12.5.1986 – 5 UF 185/85, OLGReport Oldenburg 2002, 289 = NJW-RR 1987, 1087) und das OLG Stuttgart (OLG Stuttgart v. 23.8.1999 – 13 U 68/99, OLGReport Stuttgart 2000, 58) die Kosten anteilig nach dem Verhältnis der Werte von Berufung und Anschlussberufung.
Der Senat tritt der letztgenannten Auffassung bei. Die verspätete selbstständig eingelegte Berufung war ein selbstständiges – allerdings unzulässiges – Rechtsmittel. Es war, anders als eine von Anfang an eingelegte unselbstständige Anschlussberufung, nicht nur ein angriffsweise wirkender Antrag innerhalb des vom Rechtsmittelkläger eingelegten Rechtsmittels (BGHZ 4, 229 [235]). Die Partei, die von vorneherein nur unselbstständige Anschlussberufung eingelegt hat, greift das erstinstanzliche Urteil in zulässiger Weise an. Dieser Angriff wird ihr durch die Entscheidung der Gegenseite, die eigene Hauptberufung zurückzunehmen, aus der Hand genommen. Hierin liegt der rechtfertigende Grund dafür, diese Partei ganz von einer Kostenbelastung freizustellen. Der Berufungskläger, der zunächst eine unzulässige Hauptberufung einlegt, verdient diesen Schutz nicht. Die Umdeutung seiner Berufung in eine unselbstständige Anschlussberufung bzw. deren entspr. Weiterführung auf ausdrückliche Erklärung schützt ihn vor der Verwerfung als unzulässig. Es besteht jedoch kein Anlass, ihn im Nachhinein so zu stellen, als hätte er von vornherein nur einen zulässigen Rechtsbehelf ergriffen.
Da die Frage, welche Kostenentscheidung in dieser Fallkonstellation zu treffen ist, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und in der Rspr. der OLG unterschiedlich beantwortet ist, war die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 zur Sicherung einer einheitlichen...