Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen zum Begriff der pharmakologischen Wirkung
Leitsatz (amtlich)
Dem Europäischen Gerichtshof wird zur Vorabentscheidung nach Art. 237 II AEUV u.a. die Frage vorgelegt, ob der Begriff der pharmakologischen Wirkung voraussetzt, dass es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz mit zellulären Bestandteilen des Anwenders kommt, oder ob eine Wechselwirkung der in Frage stehenden Substanz mit einem zellulären Bestandteil, der nicht Bestandteil des menschlichen Körpers ist, genügt (Chlorhexidin-Mundspüllösung).
Normenkette
AMG § 2 Abs. 1 Nr. 2; EGRL 83/2001 Art. 1 Nr. 2 Buchst. b
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gem. Art. 237 II AEUV zur Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. EG Nr. L 311 vom 28.11.2001, S. 67-128) in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. EG Nr. L 136 vom 30.4.2004, S. 34-57) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann zur Definition des Begriffs "pharmakologische Wirkung" in Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG auf die unter der Federführung der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten "Medical Devices: Guidance document" zurückgegriffen werden, wonach erforderlich ist eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet, die entweder in einer direkten Reaktion resultiert oder die Reaktion eines anderen Agens blockiert?
2. Falls die erste Frage mit ja beantwortet wird: Setzt der Begriff der pharmakologischen Wirkung voraus, dass es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz mit zellulären Bestanteilen des Anwenders kommt, oder genügt eine Wechselwirkung der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, der nicht Bestandteil des menschlichen Körpers ist?
Für den Fall, dass die erste Frage mit nein beantwortet wird oder keine der beiden in der zweiten Frage vorgeschlagenen Definitionen in Betracht kommt: Auf welche andere Definition ist stattdessen zurückzugreifen?
Gründe
I. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Markt für Mundspüllösungen, die Chlorhexidin enthalten. Die Beklagte vertreibt die Mundspüllösung "PAROEX 0,12 %" als kosmetisches Mittel in der im Klageantrag wiedergegebenen Verpackung. Darauf ist angegeben: "Mundspülung zur Mundpflege - Reduziert bakteriellen Zahnbelag und hemmt dessen Neubildung - Schützt das Zahnfleisch und trägt zur Erhaltung der Mundgesundheit bei". Im Laufe des Verfahrens ist zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass PAROEX 0,12 % tatsächlich die auf der Verpackung angegebene Wirkung hat. Auf dem Beipackzettel heißt es zur Anwendung, man solle den Mund zweimal täglich mit 10 ml unverdünnter Lösung 30 Sekunden lang spülen. Für PAROEX 0,12 % besteht keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Das Mittel enthält zu 0,12 % den Stoff Chlorhexidin.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die von der Beklagten vertriebene Mundspülung sei ein Arzneimittel i.S.v. § 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln - Arzneimittelgesetz (AMG), weil ihr eine pharmakologische Wirkung zukomme. Dies werde u.a. durch eine Monographie über die Eigenschaften, Wirkungen und Einsatzmöglichkeiten von Chlorhexidin aus dem Jahre 1994 belegt. Danach führten Mundspüllösungen mit einer 0,2%igen Chlorhexidin-Lösung zu einer Reduktion von Speichelbakterien und hätten auf diese Weise eine therapeutische bzw. klinische Wirkung bei Gingivitis. Außerdem sei Paroex 0,12 % als sog. Bestimmungs- oder Präsentationsarzneimittel anzusehen, weil es sich aufgrund seiner Verpackung und der beigefügten Produktinformationen für einen durchschnittlich informierten und verständigen Durchschnittsverbraucher als Arzneimittel darstelle.
§ 2 AMG hat folgenden Wortlaut:
(1) Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,
1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder
2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder
a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.
§ 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) AMG dient der Umsetzung von Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie ...