Leitsatz (amtlich)

Voraussetzung der Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und der Übetragung der Alleinsorge auf einen Elternteil nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB sind neben dem Fehlen einer tragfähigen sozialen Beziehung zwischen beiden Elternteilen hieraus resultierende negative Auswirkungen auf das Kind. Hat die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge - beispielsweise wegen einer vom anderen Elternteil akzeptierten faktischen Alleinsorge eines Elternteils - keinerlei Auswirkungen auf das Befinden bzw. Empfinden des Kindes, ist ihr im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht der Vorzug zu geben vor einer Aufhebung der gemeinsamen Sorge.

 

Normenkette

BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Wiesbaden (Beschluss vom 20.06.2011)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Antrag der Antragstellerin auf Übertragung der Alleinsorge für das betroffene Kind wird zurückgewiesen.

Die in beiden Rechtszügen anfallenden Gerichtskosten tragen die beteiligten Kindeseltern je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst.

Der Verfahrenswert wird für beide Rechtszüge festgesetzt auf 3.000 EUR.

 

Gründe

I. Die beteiligten Kindeseltern sind geschiedene Eheleute, aus deren Ehe das betroffene Kind hervorgegangen ist. Die Eltern trennten sich bereits ein Jahr nach der Geburt des Kindes. In einem von der Antragstellerin angestrengten Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz schlossen die Eltern am 28.11.2005 einen dahingehenden Vergleich, dass die Eltern des Antragsgegners bei dessen Umgang mit dem Kind Abholung und Rückgabe des Kindes übernehmen und dass der Antragsgegner es unterlässt, die Antragstellerin in ihrer damaligen Wohnung aufzusuchen oder sich ihr gegen ihren Willen auf weniger als 50 Meter zu nähern. Nachdem sich die Konflikte zwischen den Kindeseltern entspannt hatten, nahm die Antragstellerin einen im Scheidungsverbundverfahren gestellten Folgeantrag auf Übertragung der Alleinsorge für das betroffene Kind am 17.1.2007 zurück. In der Folgezeit gab es gemeinsame Gespräche der Eltern beim Jugendamt und einen regelmäßigen Umgang zwischen Vater und Kind alle zwei Wochen von freitags 15:00 Uhr bis sonntags 18:00 Uhr. Die Übergabe des Kindes erfolgte unter Einschaltung des neuen Lebensgefährten der Antragstellerin. Nachdem es im Sommer 2010 zu mehreren von den Beteiligten unterschiedlich dargestellten Vorfällen gekommen war, bei denen der Antragsgegner in Gegenwart des Kindes alkoholisiert in tätliche Auseinandersetzungen geraten war, setzte die Antragstellerin die Umgangskontakte aus und beantragte beim AG einen Ausschluss des Umgangs sowie eine Übertragung der Alleinsorge.

In den vom AG daraufhin eingeleiteten Verfahren warfen sich die Beteiligten gegenseitig Alkohol- und Drogenmissbrauch vor. Der Antragsgegner unterzog sich auf Anordnung des AG einem Drogen-Screening, welches keine Anhaltspunkte für eine Abhängigkeit von Alkohol oder Betäubungsmitteln erbrachte. Die Eltern vereinbarten vor dem AG sodann eine Ausweitung der zwischenzeitlich für fünf Monate ganz ausgesetzten Umgangskontakte auf den ursprünglichen Rhythmus einschließlich Ferienumgängen. Eine Einigung über die künftige Ausübung des Sorgerechts konnte nicht erzielt werden.

Das AG übertrug der Antragstellerin mit dem angefochtenen Beschluss nach Anhörung der Beteiligten und des betroffenen Kindes daraufhin die Alleinsorge und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, zwischen den Eltern bestehe keine tragfähige soziale Beziehung, weshalb ihnen jegliche Kommunikation über Belange ihres gemeinsamen Kindes unmöglich sei. Dies sei durch das Verhalten der Eltern in den gerichtlichen Anhörungsterminen eindrucksvoll bestätigt worden.

Gegen den seiner Bevollmächtigten am 28.6.2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am 27.7.2011 beim AG eingegangene Beschwerde des Antragsgegners, mit welcher er eine Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge begehrt.

Die Antragstellerin, die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt sind der Beschwerde entgegengetreten mit der Begründung, die Eltern seien zu einer Kommunikation über die Belange des Kindes nicht fähig. Aus Sicht des Kindes sei daher eine für alle Beteiligten klare Regelung zu treffen, durch welche künftiger Streit vermieden werde. Die Antragstellerin hat mit der Beschwerdeerwiderung Kopien mehrerer an sie gerichteter Zettelbotschaften, Blatt 87 ff. d.A., vorgelegt, welche der Antragsgegner dem Kind nach den Umgangskontakten mitgegeben hatte. Eine Kommunikation der Eltern erfolgte darüber hinaus über SMS-Verkehr zwischen dem Antragsgegner und dem neuen Lebensgefährten der Antragstellerin, in welchem beide Männer offenbar auch Beschimpfungen austauschten. Mittlerweile hat der Antragsgegner nach eigenen Angaben seine Mobilfunknummer gewechselt, weshalb es keinen Kontakt mehr zwischen ihm und dem Lebensgefährten der Antragsgegnerin gibt. Die Übergabe des Kindes anlässlich der Umgangskontakte erfolgt dergestalt, dass der Antragsgegner an der Haustür der Mutter ...

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