Leitsatz (amtlich)
Eine an den im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt vorprozessual gezahlte Geschäftsgebühr ist nicht vorrangig auf die nach § 49 RVG zu berechnende Verfahrensgebühr, sondern gem. § 58 Abs. 2 RVG zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung anzurechnen.
Normenkette
RVG §§ 13, 15a Abs. 1, § 33 Abs. 3, § 45 Abs. 1, § 47 Abs. 1, §§ 49-50, 56 Abs. 2, § 58 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Kassel (Beschluss vom 23.09.2012; Aktenzeichen 9 O 2257/11) |
Tenor
Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Kassel vom 23.9.2012 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1. Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung auf Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch. Vorprozessual hatte ihm der Antragsteller eine 1,3 Geschäftsgebühr i.H.v. 1.079 EUR ausgehend von einem Gegenstandswert von 31.500 EUR in Rechnung gestellt, die der Kläger zahlte. Nachdem das LG dem Kläger Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung des Antragstellers bewilligt hatte, beantragte der Antragsteller gem. § 47 RVG die Festsetzung eines Vorschusses i.H.v. 861,32 EUR, wobei er u.a. ausgehend von einem Gegenstandswert von mehr als 30.000 EUR eine 1,3 Verfahrensgebühr über 508,30 EUR nebst anteiliger Umsatzsteuer berechnete. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte mit Verfügung vom 26.6.2012 die an den Antragsteller zu zahlende Vergütung auf 558,88 EUR fest. Dabei zog sie eine 0,65 Geschäftsgebühr i.H.v. 254,15 EUR ab. Hiergegen legte der Antragsteller Erinnerung ein, mit der er an seinem Antrag auf Vorschusszahlung in voller Höhe festhielt. Die Erinnerung wurde mit Beschluss der Einzelrichterin des LG vom 2.8.2012 zurückgewiesen. Gegen diese ihm am 7.8.2012 zugestellte Entscheidung legte der Antragsteller am 13.8.2012 Beschwerde ein. Nach Richterwechsel half das LG mit Beschluss vom 23.9.2012 der Beschwerde ab und setzte den Vorschuss antragsgemäß fest. Gegen diese ihr am 28.9.2012 zugestellte Entscheidung hat die Bezirksrevisorin bei dem LG Kassel namens der Staatskasse am 9.10.2012 Beschwerde eingelegt. Sie meint, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr sei nach der Anrechnungsbestimmung in Teil 3, Vorbem. 3, Abs. 4 VVRVG vorzunehmen. Diese Anrechnung entfalle auch nicht infolge der Bestimmung des § 58 Abs. 2 RVG. Das LG hat der Beschwerde der Staatskasse nicht abgeholfen.
2. Die Beschwerde der Staatskasse ist nach § 56 Abs. 2 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG statthaft und auch ansonsten zulässig. In der Sache ist sie unbegründet.
Dem Antragsteller steht nach § 47 Abs. 1 Satz 1 RVG für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse ein angemessener Vorschuss zu, den das LG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend auf 861,32 EUR festgesetzt hat.
Die mit 508,30 EUR richtig errechnete 1,3 Verfahrensgebühr ist nicht durch Anrechnung von 0,65 der vorprozessual gezahlten Geschäftsgebühr erloschen.
a) § 15a Abs. 1 RVG bestimmt allerdings, dass in den Fällen, in denen dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern kann, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag beider Gebühren. Eine solche gesetzliche Anrechnung sieht Teil 3, Vorbem. 3, Abs. 4 VVRVG vor. Wenn wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach den Nr. 2300 bis 2303 entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Soweit in § 15a Abs. 2 RVG eine Berufung Dritter auf eine Anrechnung nur in den dort vorgesehenen Fällen möglich ist bedarf das hier keiner Vertiefung. Denn die Staatskasse wird im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG unmittelbarer Gebührenschuldner und tritt insoweit an die Stelle des Mandanten. Sie ist nicht Dritter i.S.d. § 15a Abs. 2 RVG (zutreffend OLG Frankfurt - 4. FamS. - Beschl. v. 20.3.2012 - 4 WF 204/11 zit. n. juris). Gestützt auf die Bestimmung des § 55 Abs. 5 Satz 2 bis 4 RVG wird für die Anrechnung auf eine von der Beiordnung erfasste Gebühr ferner verlangt, dass die anzurechnende Gebühr gezahlt ist (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG, 20. Aufl., § 58 Rz. 36 m.w.N.). Soweit hierzu auch abweichende Auffassungen vertreten worden sind, kann dies im Streitfall dahinstehen, weil der Kläger unstreitig Zahlung geleistet hat.
b) Ist damit grundsätzlich eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts vorzunehmen, bestimmt indes § 58 Abs. 2 RVG dass in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses bestimmen, Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen si...