Entscheidungsstichwort (Thema)
Ingewahrsamnahme nach § 32 HSOG
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der Ingewahrsamnahme nach § 32 Abs. 1 HSOG (hier: Ingewahrsamnahme einer Umweltaktivistin, die zu Demonstrationszwecken ein Gerichtsgebäude erklettert hat).
Normenkette
HSOG § 32
Verfahrensgang
LG Gießen (Entscheidung vom 17.08.2009; Aktenzeichen 7 T 255/09) |
AG Gießen (Aktenzeichen 22 II 14/09) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss des Landgerichts und der Beschluss des Amtsgerichts vom 17.08.2009 werden unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde abgeändert. Es wird festgestellt, dass die am 15.07.2009 ungefähr ab 18.42 Uhr erfolgte Ingewahrsamnahme der Betroffenen insgesamt rechtswidrig war.
Der Antragsteller hat der Betroffenen die in beiden Beschwerdeinstanzen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu ersetzen.
Geschäftswert: 3.000,00 €
Gründe
I. Am 15.07.2009 fand am Landgericht Gießen die Berufungsverhandlung wegen Zerstörung eines Gengerstenfeldes im Jahr 2006 statt. Nach Verhandlungsschluss kletterte die zum Sympathiesantenkreis des Angeklagten gehörende Betroffene an der Fassade des Landgerichts hoch und malte in etwa vier Metern Höhe die Worte "Gentech Weg! Gentech Weg, Ätsch!" an die Wand. Nach Aufforderung durch die Polizei kletterte die Betroffene um 18.42 Uhr wieder herab und wurde von dem diensthabenden Polizeihauptkommissar "zur Verhinderung weiterer politisch motivierter Aktionen" festgenommen. Um 20.55 Uhr beantragte die Polizei die gerichtliche Zustimmung zur Ingewahrsamnahme der Betroffenen bis zum anderen Morgen um 6.00 Uhr. Ungefähr um 21.00 Uhr ordnete die Richterin am Amtsgericht die Ingewahrsamnahme ohne Anhörung der Betroffenen mündlich an.
Nach ihrer Entlassung hat die Betroffene über ihren Verfahrensbevollmächtigten am 16.07.2009 mit einem an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatz Beschwerde gegen den "Beschluss" vom 15.07.2009 mit dem "die Ingewahrsamnahme der Betroffenen für die Zeit vom 15.07.2009 ab ca. 18.00 Uhr bis 16.07.2009 6.00 Uhr angeordnet worden ist" mit dem Ziel eingelegt, diesen Beschluss aufzuheben und die Rechtswidrigkeit festzustellen. Daraufhin hat die Richterin, die die mündliche Haftanordnung erlassen hatte, unter dem 17.07.2009 einen Vermerk gefertigt und die Beschwerde dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 29.07.2009 hat die Betroffene unter Schilderung der Vorgänge im Polizeigewahrsam weiter beantragt, auch die Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Vollziehung der Ingewahrsamnahme der Betroffenen in der Zeit von 18.00 Uhr am 15.07.2009 bis um 06.00 Uhr am 16.07.2009 festzustellen, hilfsweise insoweit das Verfahren abzutrennen und den Rechtsstreit an das möglicherweise zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen.
Das Landgericht hat durch Beschluss vom 17.08.2009 (Bl. 39 ff d. A.) festgestellt, dass die Freiheitsentziehung der Betroffenen in der Zeit vom 15.07.2009, 21 Uhr bis zum 16.07.2009, 6.00 Uhr auf der Grundlage der Anordnung durch das Amtsgericht rechtswidrig war und der Betroffenen insoweit Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.
Das Landgericht hat außerdem ausgeführt, es lege den Beschwerdeantrag so aus, dass lediglich die Feststellung der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung begehrt würde. Die Antragsformulierung ließe eine derartige Auslegung - noch - zu. Eine teilweise Zurückverweisung der Sache komme nicht in Betracht, da der im Beschwerdeschriftsatz vom 16.07.2009 enthaltene Antrag ausdrücklich gegen eine bereits erfolgte erstinstanzliche Entscheidung mit dem Ziel ihrer Aufhebung gerichtet gewesen sei. Bislang sei kein Antrag auf Überprüfung der ohne richterliche Entscheidung allein aufgrund behördlicher Anordnung erfolgten Freiheitsentziehung gestellt worden, über den zunächst das Amtsgericht entscheiden müsste.
Die auf Aufhebung der richterlichen Entscheidung vom 15.07.2009 gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht in dem genannten Beschluss verworfen, weil es die Beschwerde insoweit für unzulässig gehalten hat. Da von dem richterlichen Beschluss nach der Entlassung keine Rechtswirkungen mehr ausgingen, fehle es für die Aufhebung am Rechtsschutzbedürfnis.
Das Landgericht hat außerdem das Verfahren abgetrennt und an das Verwaltungsgericht verwiesen soweit die Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Ingewahrsamnahme durch die Polizei begehrt hat.
Gegen diesen Beschluss hat die Betroffene durch einen am 24. August 2009 eingegangenen Antrag sofortige weitere Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluss des Landgerichts insoweit aufzuheben, als die Beschwerde und die Anträge der Betroffenen zurückgewiesen worden seien und ihr dafür Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die Polizeibehörde werde sich in den teilweise gegen sie eingeleiteten Verfahren darauf berufen, dass die Ingewahrsamnahme richterlich angeordnet worden sei. Es sei davon auszugehen, dass sich die Betroffene ab 18.00 Uhr im Gewahrsam befunden habe. Wenn das Amtsgeric...