Leitsatz (amtlich)

Bei Wohnsitzwechsel des Schuldners nach Mahnbescheidsantrag oder -zustellung ist die Wahl zwischen dem Gericht des Erfüllungsortes und dem Wohnsitzgericht bis zur Zustellung der Klagebegründung möglich.

 

Normenkette

ZPO §§ 12-13, 29, 35, 690 Abs. 1 Nr. 5, § 696

 

Tenor

Das AG in B. wird gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als das zuständige Gericht bestimmt.

 

Gründe

Der Kläger verlangt vom Beklagten die Bezahlung von Prämien für eine Kraftfahrzeugversicherung. Im Mahnbescheidsantrag gab er als Prozessgericht das AG G. an, in dessen Bezirk der damalige Wohnsitz des Beklagten (63579 Freigericht) lag, an dem auch die Zustellung des Mahnbescheids am 16.4.2003 erfolgte. Als nach Abgabe der Akten an das AG G. (Eingang dort: 3.3.2004) die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens nebst Klagebegründung nicht zugestellt werden konnte, weil der Beklagte zwischenzeitlich, nämlich am 1.8.2003, nach B verzogen war, beantragte der Kläger auf entsprechenden Hinweis des AG G. die Verweisung "an das örtlich zuständige AG B.". Das AG G. gab die Sache an das AG B. ab, welches sich mit Beschl. v. 28.9.2004 für unzuständig erklärte und auf einen Hilfsantrag des Klägers die Sache an das AG G. verwies. Dieses hat die Sache dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Auf die zulässige Vorlage ist das AG B. als zuständiges Gericht zu bestimmen. Als Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes (§§ 12, 13 ZPO) ist das AG B. für die Klage zuständig. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der (hier: örtlichen) Zuständigkeit ist der Zeitpunkt des Eingangs der Akten (§ 696 Abs. 1 S. 4 ZPO) bei dem Streitgericht (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 696 Rz. 5, 7; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 4 Rz. 3; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 261 Rz. 2; BayObLG v. 29.6.1994 - 1Z AR 31/94, BayObLGReport 1994, 64 = MDR 1995, 312 = NJW-RR 1995, 635; OLG Frankfurt, Beschl. v. 22. 5. 02 - 21 AR 104/01 zur örtlichen Zuständigkeit; OLG Frankfurt v. 28.7.1992 - 20 AR 109/92, OLGReport Frankfurt 1993, 15 = NJW-RR 1992, 1341; NJW-RR 1995, 831; OLG Frankfurt v. 21.2.1996 - 21 AR 10/96, NJW-RR 1996, 1403 zur sachlichen Zuständigkeit). Eine danach eingetretene Änderung des Wohnsitzes hat gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO keinen Einfluss mehr auf die (örtliche) Zuständigkeit.

Durch den Verweisungsbeschluss des AG B. vom 28.9.2004 ist das AG G. nicht zuständig geworden. Zwar sind Verweisungsbeschlüsse gem. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend. Die Bindungswirkung setzt sich im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren fort und kommt auch fehlerhaften Verweisungsbeschlüssen zu, denn sie soll gewährleisten, dass Streitigkeiten über die Zuständigkeit der Gerichte vermieden bzw. bald beendet werden und dass es möglichst rasch zu einer Sachentscheidung kommt. Die Bindungswirkung entfällt jedoch, wenn die Verweisung auf der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs der Parteien beruht oder einer rechtlichen Grundlage entbehrt und sich daher als objektiv willkürlich erweist.

Das AG B. stützt seinen Verweisungsantrag darauf, dass der Kläger im Mahnbescheidsantrag das AG G. bindend gewählt habe und dass "Veränderungen nach dem Zeitpunkt, in dem das Wahlrecht grundsätzlich ausgeübt werden muss (Klageerhebung oder Mahnbescheidsantrag)", nicht beachtlich seien. Dabei hat das AG B. übersehen, dass in der Angabe des AG G. im Mahnbescheidsantrag nicht die Ausübung des Wahlrechts nach § 35 ZPO gesehen werden kann, weil - wie das AG B. in anderem Zusammenhang zutreffend ausführt - nach der genannten Vorschrift eine Wahlmöglichkeit nur unter mehreren zuständigen Gerichten besteht, zum damaligen Zeitpunkt aber nur ein Gericht, nämlich das AG G, als Gericht sowohl des allgemeinen Gerichtsstandes als auch des Gerichtsstands des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) in Betracht kam. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit der Bezeichnung des AG G. als Streitgericht im Mahnbescheidsantrag dieses Gericht ausschließlich als Wohnsitzgericht des Beklagten oder ausschließlich als Gericht des Erfüllungsortes habe in Anspruch nehmen wollen, sind nicht ersichtlich.

Durch die gem. § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO gebotene Bezeichnung eines zuständigen Gerichts als Streitgericht im Mahnbescheidsantrag ist vorliegend die Möglichkeit der Wahl zwischen mehreren zuständigen Gerichten für die Klägerin nicht entfallen. Der Vorschrift des § 35 ZPO ist nicht zu entnehmen, dass ein Wahlrecht nur im Zeitpunkt der Einreichung des Mahnbescheidsantrags gegeben oder beachtlich sein soll. Im Falle einer Klage kann das Wahlrecht nach allgemeiner Meinung bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, also bis zur Zustellung der Klageschrift (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO) ausgeübt werden (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 35 Rz. 2; Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 35 Rz. 2 m.w.N.). Für den durch ein Mahnverfahren eingeleiteten Rechtsstreit kann nichts anderes gelten. Das Mahnverfahren hat nicht den Zweck, das ansonsten gegebene Wahlrecht nach § 35 ZPO auszuschließen (OLG Celle NdsRpfleger 1993, 359 und für den Rechtszustand vor dem 1.1.92: BGH NJW...

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