Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweisantizipation im Arzthaftungsprozess
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen einer Beweisantizipation - Verneinung der Erfolgsaussicht - bei Vorliegen eines ärztlichen Gutachtens im Arzthaftungsprozess
Normenkette
ZPO § 114
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Beschluss vom 07.12.2009) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des LG Darmstadt vom 7.12.2009 aufgehoben. Das LG wird angewiesen, die beantragte Prozesskostenhilfe nicht mangels Erfolgsaussicht dem Grunde nach zu verweigern.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen ärztlicher Falschbehandlung.
Das LG hat diese mit der Begründung abgelehnt, die außergerichtlich durch die Krankenversicherung und die Gutachter- und Schlichtungsstelle der Landesärztekammer beauftragten Gutachter hätten einen Behandlungsfehler verneint, so dass eine weitere Beweisaufnahme keinen Erfolg verspreche.
Ein Aufklärungsfehler sei nicht kausal geworden.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.
I. Die sofortige Beschwerde ist begründet.
Das LG hat zu Unrecht im Wege der Beweisantizipation eine Erfolgsaussicht der Klage verneint.
1. Zwar kann dem LG dahin gefolgt werden, dass ein Aufklärungsmangel dann nicht in Betracht kommt, wenn die Anlage eines doppelläufigen Ileostomas medizinisch indiziert war, da diese dann nachvollziehbar einen geringeren Eingriff ggü. dem endständigen Ileostoma dargestellt hätte.
2. Die Frage des ärztlichen Kunstfehlers wird vom Antragsteller aber gerade hinsichtlich der Anlage des doppelläufigen Ileostomas aufgeworfen. Der Antragsteller hat sich dazu auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens und Vernehmung des nachbehandelnden Arztes bezogen.
Im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die vom Antragsteller benannten Beweismittel den unter Beweis gestellten Vortrag untermauern werden, es sei denn, die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien lässt eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Hilfsbedürftigen als sehr unwahrscheinlich erscheinen (Zöller/Geimer § 114 ZPO Rz. 19, 26). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (ZfSch 03, 399; NJW 2008, 1060) ist eine Beweisantizipation zum Nachteil des Antragstellers nur dann zulässig, wenn konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde. Gerade bei komplexen Fragestellungen kann das Beweisergebnis im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten regelmäßig nicht hinreichend vorhergesehen werden.
Die Voraussetzungen für eine Beweisantizipation liegen allerdings nicht vor.
2.1 Zunächst ist bereits festzustellen, dass lediglich zwei gutachterliche Meinungen vorliegen, nicht drei, wie vom LG angenommen. Die Entscheidung der Gutachter- und Schlichtungsstelle stellt kein eigenes Gutachten dar, sondern folgt im Wesentlichen dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. SV1, das dieser für die Landesärztekammer erstellt hat, ohne nachvollziehbar eigene Sachkunde in Form einer sachverständigen Äußerung einzubringen.
2.2 Zutreffend ist allerdings, dass die beiden vorgerichtlichen Gutachter übereinstimmend zum Ergebnis kommen, dass die durchgeführte Stoma-Anlage medizinisch indiziert war und deshalb darin kein Behandlungsfehler gesehen werden kann.
Ein im Schlichtungsverfahren erstattetes Gutachten kann im Arzthaftungsprozess zwar grundsätzlich im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden und eine weitere Beweisaufnahme entbehrlich machen (BGH NJW 1987, 2300). Es kann dementsprechend zur Verneinung der Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO führen (OLG Oldenburg NJW 1994, 807). Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht mit denen für eine Beweiserhebung identisch. Beide Entscheidungen sind voneinander unabhängig zu treffen, wobei der Begriff der hinreichenden Erfolgsaussicht enger verstanden werden kann als das Gebot zur Beweiserhebung (BGH NJW 1994, 1160 f.). Diese unterschiedliche Regelung trägt zum einen dem Umstand Rechnung, dass die Staatskasse nicht mit Kosten belastet werden soll, die mit großer Wahrscheinlichkeit unnötig sind.
Zum anderen liegt sie auch im Interesse der Partei, die i.S.v. § 114 ZPO nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Denn sie muss - unbeschadet der Bewilligung von Prozesskostenhilfe - im Falle des für sie negativen Ausgangs des Rechtsstreits die oftmals erheblichen außergerichtlichen Kosten des Prozessgegners erstatten.
Ob die danach grundsätzlich mögliche Berücksichtigung des Gutachtens aus einem vorangegangenen Schlichtungsverfahren sogleich eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfe-Antrag ermöglicht, oder ob - von Amts wegen bzw. wegen Einwänden der Parteien gegen den Gutachter selbst oder gegen den sachlichen Gehalt des Gu...