Leitsatz (amtlich)

1. Die Bestimmungen der Brüssel-IIa-Verordnung stehen der Anwendbarkeit des Art. 3 MSA auf ein in einem Mitgliedsstaat lebenden Minderjährigen nicht entgegen.

2. Das In-Kraft-Treten des KSÜ zum 1.1.2011 führt nicht zum Wegfall einer bis dahin nach Art. 3 MSA in Verbindung mit dem Heimatrecht des Minderjährigen anzuerkennenden elterlichen Sorge eines nach dem innerstaatlichen Recht des Aufenthaltsstaats nicht sorgeberechtigten Elternteils.

 

Normenkette

BGB § 1671; MSA Art. 3; KSÜ Art. 16 Abs. 1, 3

 

Verfahrensgang

AG Wiesbaden (Beschluss vom 21.10.2014; Aktenzeichen 537 F 76/14)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Der Antragstellerin wird die elterliche Sorge für das betroffene Kind K. zur alleinigen Ausübung übertragen.

Dem Antragsgegner wird die elterliche Sorge für das betroffene Kind G. zur alleinigen Ausübung übertragen.

Die Rechtsbeschwerde wird hinsichtlich der Regelung der elterlichen Sorge für das Kind K. zugelassen.

Die Gerichtskosten beider Rechtszüge tragen die Eltern je hälftig. Ihre Aufwendungen tragen die Beteiligten selbst.

Dem Antragsgegner wird für den zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. in T. bewilligt.

Die beiden Eltern bewilligte Verfahrenskostenhilfe wird auf den Abschluss des im Anhörungstermin am 24.3.2015 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs erstreckt.

Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 3.000 EUR. Der Gegenstandswert des abgeschlossenen Vergleichs wird festgesetzt auf 5.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die nicht miteinander verheirateten Eltern der beiden betroffenen, in Litauen geborenen Kinder. Sowohl die Eltern als auch die Kinder sind ausschließlich litauische Staatsangehörige und lebten bis 2010 in Litauen. Seitdem leben sie in der Bundesrepublik Deutschland. Im Jahr 2013 kam es zur Trennung der Eltern, in deren Folge die Mutter beim AG die Übertragung der Alleinsorge für beide Kinder beantragte.

Das AG wies die Anträge mit dem angefochtenen Beschluss nach erfolgter Anhörung der beiden Kinder, der Eltern, des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin, wegen deren Ergebnis auf den Vermerk vom 24.6.2014, Bl. 52 f. der Akte, und die Sitzungsniederschrift vom 8.10.2014 Bezug genommen wird, zurück. Es führte zur Begründung aus, der Antragstellerin stehe das begehrte alleinige Sorgerecht schon von Gesetzes wegen zu, weshalb es keiner Übertragung auf sie bedürfe. Zwar hätte den Eltern die elterliche Sorge bis zur Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 2010 gem. Art. 3.156 des litauischen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur gemeinsamen Ausübung zugestanden. Mit der Übersiedlung nach Deutschland habe der Vater seinen Status als Sorgeberechtigter jedoch verloren, weil das Eltern-Kind-Verhältnis seitdem gem. Art. 21 EGBGB bzw. seit 1.1.2011 gem. Art. 16 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (KSÜ - Abl. 2003 Nr. L 48 S. 3, in Deutschland in Kraft getreten zum 1.1.2011, BGBl. II 2010, 1527) dem deutschen Recht unterliege. Dieses sehe eine gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern nur unter den hier nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 1626a Abs. 1 BGB, also Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung, Eheschließung oder gerichtliche Übertragung der elterlichen Sorge zur gemeinsamen Ausübung, vor. Die Vorschrift des Art. 16 Abs. 3 KSÜ, der die Fortdauer eines nach dem Recht des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts im Falle des Umzugs in einen anderen Staat anordne, wirke mangels Überleitungsvorschrift nicht auf den im Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens am 1.1.2011 bereits abgeschlossenen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts im Jahr 2010 zurück und führe somit nicht zu einem Wiederaufleben der erloschenen Mitsorge des Antragsgegners.

Mit ihrer am 24.11.2014 beim AG eingegangenen Beschwerde hat die Antragstellerin zunächst eine dahingehende Feststellung begehrt, dass ihr die Alleinsorge für beide Kinder zusteht.

Nachdem G. mittlerweile zum Vater übergesiedelt ist und der Senat auf Bedenken gegen die Annahme einer Alleinsorge der Mutter hingewiesen hat, haben die Beteiligten in der Anhörung durch den hiermit beauftragten Berichterstatter des Senats am 24.3.2015 folgenden Vergleich geschlossen:

1. Beide Eltern sind sich darüber einig, dass die Mutter künftig die Alleinsorge für die Tochter K. und der Vater künftig die Alleinsorge für den Sohn G. ausüben soll. Sie beantragen daher die Übertragung der Alleinsorge für K. auf die Mutter und der Alleinsorge für G. auf den Vater.

2. Der Vater bringt G. am Karfreitag, 3.4.2015, um 15:00 Uhr zur Mutter und holt ihn am Ostersonntag, 5.4.2015, um 17:00 Uhr wieder dort ab. Die Mutter gibt ihm persönliche Sachen des Kindes sowie dessen Reisepass, Impfausweis und Krankenversicherungskarte mit. Der Vater nimmt K. am Ostersonntag m...

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