Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordnungsgemäße Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei der SE

 

Leitsatz (amtlich)

Bei § 35 Abs. 1 SEBG ist auf den rechtlich gebotenen Soll-Zustand und nicht auf den praktizierten Ist-Zustand zum Zeitpunkt der Umwandlung der Gesellschaft von einer Aktiengesellschaft in eine SE abzustellen.

 

Normenkette

AktG § 98; SEBG § 35 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 23.11.2017; Aktenzeichen 3-05 O 63/17)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 23.07.2019; Aktenzeichen II ZB 20/18)

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 1) und 3) wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. November 2017 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller (zugleich Beteiligter zu 1)) ist Aktionär der Antragsgegnerin. Die Hauptversammlung der Antragsgegnerin, die bis zum 31. Juli 2017 in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft bestand, beschloss am 2. Juni 2017 die formwechselnde Umwandlung in eine Societas Europaea (im Folgenden SE). Die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister der Gesellschaft erfolgte am 31. Juli 2017. Der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin besteht nur aus Vertretern der Anteilseigner.

Mit einem am (24. bzw.) 27. Juli 2017 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Antragssteller eine gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin beantragt und später mit Schriftsatz vom 30. September 2017 den Antrag ergänzt. Insoweit hat er präzisierend begehrt, festzustellen, dass der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin nicht nach den für ihn maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt ist und je zur Hälfte aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre und der Arbeitnehmer zusammenzusetzen ist (Bl. 50 d. A.).

Diesen Antrag hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss (veröffentlicht in ZIP 2018, 932 [BGH 06.03.2018 - II ZR 1/17] mit Besprechungen von Behme, EWiR 2018, 333 und Gesell/Berjasevic, DB 2018, 1716) zurückgewiesen. Gegen den dem Antragsteller am 25. November 2017 (Bl. 81 d. A.) zugestellten und am 1. Dezember 2017 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Beschluss haben die Beteiligte zu 3) mit am 22. Dezember 2017 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz (Bl. 98 d. A.) und der Antragsteller mit am 27. Dezember 2017 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz (Bl. 102 d. A.) Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat den Rechtsmitteln nicht abgeholfen, sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 155 d. A.).

II. Die zulässigen Rechtsmittel führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Die beiden Rechtsmittel sind jeweils als Beschwerde gemäß § 99 Abs. 3 AktG, die nur auf eine Verletzung des Rechts gestützt werden kann, statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Die Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 1) ergibt sich bereits aus dessen Stellung als Antragsteller. Die Beteiligte zu 3) ist gemäß § 99 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 98 Abs. 2 Nr. 10 AktG beschwerdeberechtigt. Hiernach sind "Gewerkschaften, die nach den gesetzlichen Vorschriften, deren Anwendung streitig oder ungewiss ist, ein Vorschlagsrecht hätten, befugt zur Einlegung eines Rechtsmittels". Das Vorschlagsrecht der Beteiligten zu 3) ergibt sich aus § 16 Abs. 2 MitbestG. Hierfür ist Voraussetzung, dass die Gewerkschaft im Unternehmen selbst oder in einem anderen von diesem abhängigen (vgl. MünchKommAktG/Gach 4. Aufl., § 16 MitbestG Rn. 5) Unternehmen vertreten ist. Auf einen entsprechenden Hinweis des Senats hat die Beteiligte zu 3) nachgewiesen, dass sie bei der A GmbH, einem zum Konzern der Antragsgegnerin gehörenden Unternehmen, vertreten ist (Bl. 261 d. A.). Dabei sieht der Senat aufgrund der Vorlage der öffentlichen Urkunde die Vertretung der Beteiligten zu 3) bei der A GmbH als erwiesen an, auch wenn eine Namensnennung des bei der A GmbH beschäftigten Mitglieds der Beteiligten zu 3) nicht erfolgt ist. Dass die Beteiligte zu 3) in erster Instanz noch nicht am Verfahren beteiligt gewesen ist, steht ihrer Beschwerdebefugnis nicht entgegen (vgl. Spindler in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. § 99 Rn. 11).

Auch im Übrigen sind die Beschwerden zulässig. Insbesondere sind sie form- und fristgerecht erhoben worden, weil sie weniger als einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung im elektronischen Bundesanzeiger beim Landgericht eingegangen sind, § 99 Abs. 4 Satz 4 AktG, 63 Abs. 1 FamFG .

2. Die Rechtsmittel sind darüber hinaus begründet. Die Ausführungen des Landgerichts halten der allein zulässigen rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts ist von folgenden gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen auszugehen:

Die Antragsgegnerin beschäftigte Ende Juli 2017 etwa 20...

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