Leitsatz (amtlich)
Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache in Zusammenhang mit einer fristgebunden Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 234 Abs. 1 S. 2, Abs. 2
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 14.01.2010; Aktenzeichen 19 O 200/08) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten vom 22.4.2010 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 19. Zivilkammer des LG Darmstadt vom 14.1.2010 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 357.200 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das LG hat mit Urteil vom 14.1.2010, das der Beklagten am 21.1.2010 zugestellt worden ist, der Feststellungsklage stattgegeben. Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung ist am 3.2.2010 beim OLG eingegangen. Nach Rückfrage des Senatsvorsitzenden vom 20.4.2010 wegen der fehlenden Berufungsbegründung hat die Beklagte ihre Berufung mit Schriftsatz vom 22.4.2010, der am gleichen Tage beim OLG einging, begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte ausgeführt, dass die seit 20 Jahren im Büro des Beklagtenvertreters tätige, stets zuverlässig arbeitende Rechtsanwaltsgehilfin die Berufungsbegründungsfrist mit Montag, 22.3.2010, korrekt berechnet und auch auf der Ausfertigung des angefochtenen Urteils handschriftlich vermerkt habe. Die Vorfrist zur Wiedervorlage der Handakte, eine Woche vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, sei von ihr auf den 15.3.2010 errechnet und ins Fristenbuch eingetragen worden. Der handschriftliche Erledigungsvermerk der Eintragung der Berufungsbegründungsfrist ins Fristenbuch ("not") sei von ihr neben der auf dem Urteil notierten Frist angebracht worden. Tatsächlich habe sie diese Frist jedoch versehentlich nicht ins Fristenbuch eingetragen. Sie habe gegen die konkrete Organisationsanweisung verstoßen, den handschriftlichen Erledigungsvermerk erst nach dem Eintrag ins Fristenbuch anzubringen.
Aufgrund allgemeiner Anweisung würden dem Beklagtenvertreter anhand des Fristenbuchs jeweils Freitags sämtliche Handakten vorgelegt, bei denen in der folgenden Kalenderwoche sowie am übernächsten Montag Fristen ablaufen, da er versuche, so gut es gehe, am Wochenende "vorzuarbeiten". Die Handakte zu vorliegendem Verfahren sei ihm am Freitag, den 12.3.2010, wegen der auf 15.3.2010 notierten Vorfrist vorgelegt worden. Er könne dies nachvollziehen, da er am 13./14.3.2010 in der Akte eine handschriftliche Notiz der Berufungsangriffe mit folgender ergänzender Aktenotiz abgeheftet habe:
"Ich muss hier noch aus der Parallelakte die dortige Schriftsatzargumentation verwerten. Bitte WV der Akten zusammen mit Parallelakte zur Hauptfrist."
Diese Aktennotiz hätte an sich sichergestellt, dass dem Beklagtenvertreter bei ordnungsgemäßer Eintragung im Fristenkalender die Akte am Freitag, 19.3.2010 vorgelegt worden wäre, so dass er die Berufungsbegründung am Wochenende 21./22.3.2010 hätte fertig stellen können.
Da der Fristablauf am 22.3.2010 nicht im Fristenkalender notiert worden sei, hätte diese Einzelanweisung erst nach der Anfrage des Senatsvorsitzenden umgesetzt werden können.
Die Richtigkeit dieses Vortrags versicherten die Rechtsanwaltsgehilfin des Beklagtenvertreters an Eides Statt und der Prozessbevollmächtigte der Beklagten anwaltlich.
II. Die Berufung der Beklagten ist gem. § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO begründet worden ist. Die zweimonatige Begründungsfrist wurde mit der Zustellung des angefochtenen Urteils am 21.1.2010 in Lauf gesetzt und endete mit Ablauf des 22.3.2010.
Die am 22.4.2010 beantragte Wiedereinsetzung war der Beklagten zu versagen, weil nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen ein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht ausgeschlossen ist. Die Beklagte hat weder das Vorhandensein einer den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügende Fristenkontrolle im Büro ihres Prozessbevollmächtigten noch die Erteilung einer konkreten Einzelanweisung dargetan, auf deren Erledigung der Beklagtenvertreter zur Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist ohne weiteres hätte vertrauen dürfen.
Die ...