Leitsatz (amtlich)
1. Der Rechtsanwalt, der die Berechnung und Notierung von Fristen einer zuverlässigen Bürokraft überträgt, muss zwar immer dann, wenn ihm die Handakte vorgelegt wird, die richtige Berechnung und Notierung kontrollieren. Er darf sich jedoch auf die Kontrolle der Vermerke ... auf der Handakte beschränken und muss nicht die entsprechende Eintragung im Fristenkalender überprüfen.
2. Eine mangelhafte Büroorganisation liegt dann vor, wenn eine Anordnung fehlt, Vorfristen für Rechtsmittelbegründungsfristen zu notieren.
3. Ist in der Handakte keine Vorfrist vermerkt und merkt und korrigiert der Prozessbevollmächtigte, dem die Akten vorgelegt werden, dies nicht, so kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.
4. Fehlt dem Wiedereinsetzungsgesuch in einem solchen Fall Vortrag zu den Vorfristen, so erlaubt dies den Schluss auf das Fehlen gebotener organisatorischer Maßnahmen, ohne dass das Gericht auf diesen von ihm gezogenen Schluss vorher hinweisen muss.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 23.04.2013; Aktenzeichen 22 O 544/12) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 23.4.2013 - 22 O 544/12 - wird als unzulässig verworfen.
2. Der Antrag der Beklagten vom 18.7.2013 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens als Gesamtschuldner.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 7.826,10 EUR
Gründe
I. Mit dem angefochtenen Urteil des LG Stuttgart vom 23.4.2013 - 22 O 544/12 wurde der Klage auf Rückzahlung der letzten Kaufpreisrate aus einem Bauträgerkaufvertrag zum überwiegenden Teil stattgegeben. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigen der Beklagten am 29.4.2013 zugestellt. Mit am 23.5.2013 bei dem OLG Stuttgart eingegangenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten haben die Beklagten Berufung gegen dieses Urteil eingelegt.
Mit Verfügung vom 3.7.2013 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats den Beklagten darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden ist (§ 520 ZPO). Mit Schriftsatz vom 18.7.2013, der am 19.7.2013 bei dem OLG Stuttgart einging, haben die Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die Berufung begründet.
Zur Wiedereinsetzung tragen die Beklagten vor:
Das Urteil sei nach seinem Eingang in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten am 29.4.2013 von dessen Mitarbeiterin A. K. entgegengenommen worden. Die-
se sei seit 2.11.2005 als ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte bei ihrem Prozessbevollmächtigten beschäftigt und habe am 12.9.2011 die Prüfung zur Rechtsfachwirtin bestanden. Frau K. habe die Aufgabe gehabt, zunächst Fristen zu prüfen und einzutragen. Dies sei in vorliegender Sache noch am 29.4.2013 geschehen. Sie habe die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist errechnet und diese sodann im Rechtsanwaltsdienstprogramm (Computer) und im separat geführten Fristenkalender eingetragen. Erst nach vollzogenem Eintrag habe gemäß entsprechender Organisationsanweisung sie diese Fristen auf dem Urteil notieren dürfen. Sie habe hier handschriftlich unter dem auf dem Urteil des LG angebrachten Kanzleieingangsstempel mit roter Tinte vermerkt:
"Berufung 29.5.13" und "Berufungsbegr. 29.6.13".
Der Prozessbevollmächtigte prüfe regelmäßig, mehrmals pro Woche, ob die notierten Fristen auch tatsächlich eingetragen seien. Seit Beginn der Tätigkeit von Frau K. zum 2.11.2011 habe es keine Beanstandungen gegeben, die Fristen betroffen hätten.
Erst durch den Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 4.7.2013, der am 05.7. in der Kanzlei eingegangen sei, sei zunächst der weiteren Mitarbeiterin der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten, Frau B ..., aufgefallen, dass, entgegen dem handschriftlichen Vermerk "Berufungsbegründung 29.6.13" Frau K. diese Frist weder im Computer (RA-Micro) noch im Fristenkalender notiert habe. Frau B ... habe die Akte daraufhin sofort dem Prozessbevollmächtigten vorgelegt. Die Nichteintragung der Frist weder im Computer noch im Fristenbuch sei unerklärlich, jedenfalls aber nicht von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet.
Wegen der unterbliebenen Eintragung der Frist in den Kalendern, sei deren Ablauf dem Prozessbevollmächtigten nicht aufgefallen. Auch das Versäumnis der Frau K. sei ihm - trotz regelmäßiger Kontrollen - nicht aufgefallen
Zur Glaubhaftmachung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten eine eidesstattliche Versicherung abgegeben und auch eidesstattliche Versicherungen seiner Mitarbeiterinnen B ... und K. vorgelegt, wobei Frau K. und der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das Arbeitsverhältnis zum 30.6.2013 einvernehmlich beendet haben.
Die Kläger haben dem entgegengehalten:
Wenn der Beklagtenvertreter regelmäßig mehrmals in der Woche geprüft habe, ob die notierten Fristen auch tatsächlich in das Dienstprogramm und den Fristenkalender eingetragen wor...