Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterliche Sorge: Berücksichtigung der mit Zeitablauf erfolgenden Änderung der für das Kindeswohl maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse bei der Ausgestaltung und Dauer des Sorgerechtsverfahrens
Leitsatz (amtlich)
Es liegt in der Natur kindschaftsrechtlicher Verfahren, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse, insb. auch die den Maßstab des Kindeswohls beeinflussenden Faktoren, mit Zeitablauf und damit während des Verfahrens verändern. Diesem Gesichtspunkt kann und muss durch die Ausgestaltung des Verfahrens, insb. mit Blick auf die Verfahrensdauer Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG v. 11.12.2000 - 1 BvR 661/00, FamRZ 2001, 753 ff.), nicht jedoch durch eine den Maßstab des Kindeswohls verlassende Sorgerechtsentscheidung.
Normenkette
BGB § 1671
Verfahrensgang
AG Seligenstadt (Aktenzeichen 2 F 159/05) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000 EUR.
Gründe
J. ist der gemeinschaftliche Sohn der nicht miteinander verheirateten Parteien. Der Antragsgegner erkannte die Vaterschaft an. Beide Elternteile gaben Sorgerklärungen ab. Sie lebten zunächst in einem gemeinschaftlichen Haushalt, trennten sich jedoch im März 2005. Bei einem gemeinsamen Aufenthalt bei den Eltern der Antragstellerin gab diese entgegen ihrer eigentlichen Absicht vor, mit dem Kind in den gemeinschaftlichen Haushalt zurückkehren zu wollen. Der Antragsgegner reiste daraufhin ab. Seit dem hat das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei der Antragstellerin. Der Antragsgegner hat regelmäßig alle 14 Tage von Donnerstag bis Sonntag Umgang mit dem Kind.
Die Antragstellerin hat das erstinstanzliche Verfahren, verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, unter dem 1.4.2005 eingeleitet. Das FamG hat der Antragstellerin nach Anhörung der Parteien und Einholung einer Stellungnahme des Jugendamtes mit dem angefochtenen Beschluss vom 19.4.2005 das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Erziehung in religiösen Angelegenheiten einschließlich der Vertretung des Kindes in kirchlichen Institutionen und die Vertretung des Kindes gegenüber Behörden sowie schulischen und außerschulischen Einrichtungen (z.B. Kindergarten) alleine übertragen.
Mit der Beschwerde begehrt der Antragsgegner die Abänderung der angefochtenen Entscheidung und die Übertragung der auf die Antragstellerin übertragenen Teilbereiche des Sorgerechts auf sich.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die familiengerichtliche Entscheidung ist nach den Ermittlungen des Senats nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich der vom FamG auf die Antragstellerin alleine übertragenen Teilbereiche der elterlichen Sorge entspricht eine Aufhebung der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge dem Wohle des Kindes J. am Besten (vgl. § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 Halbs. 1 BGB). Eine hinreichende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Parteien ist in diesen Teilbereichen der elterlichen Sorge nicht vorhanden. Dies ergibt sich aus der persönlichen Anhörung der Parteien und findet seine Bestätigung nicht zuletzt im Scheitern eines auf Anraten des Senats durchgeführten Mediationsverfahrens.
Auch entspricht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, die Erziehung in religiösen Angelegenheiten einschließlich der Vertretung des Kindes in kirchlichen Institutionen und die Vertretung des Kindes gegenüber Behörden sowie schulischen und außerschulischen Einrichtungen (z.B. Kindergarten) auf die Antragstellerin alleine dem Wohle des Kindes am Besten (vgl. § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 Halbs. 2 BGB).
Der Senat geht davon aus, dass beide Elternteile grundsätzlich erziehungsgeeignet sind und das Kind zu beiden Bindungen besitzt, die es zu erhalten gilt. Der Einholung eines ergänzenden Jugendamtsberichts zur Lebenssituation J. s beim Antragsgegner, wie von diesem angeregt, bedarf es vor diesem Hintergrund nicht. Nach Überzeugung des Senats steht aber nach der vorgenommenen Gesamtabwägung aller Umstände insb. fest, dass es dem Wohle von J. am Besten entspricht, seinen Lebensmittelpunkt bei der Antragstellerin beizubehalten. Dies ergibt sich bereits aus den bisherigen Ermittlungen, insb. der persönlichen Anhörung der Parteien und der Stellungnahme des Jugendamtes. Die Antragstellerin hat ein Betreuungsmodell gefunden, mit welchem es ihr gelingt, ihren Beruf als Krankenschwester mit der Betreuung des Kindes in einer seinem Wohl entsprechenden Weise in Einklang zu bringen. J. ist inzwischen in seinem Lebensumfeld integriert und fühlt sich dort wohl. Nach der Trennung der Parteien und seinem Umzug ist es ihm nicht zuzumuten, den Lebensmittelpunkt und die Lebensumstände, die wesentlich von der Antragstellerin als seine Hauptbezugsperson geprägt werden, erneut zu verändern.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch die Umstände der Trennung. Bei der Trennung von Eltern ist denknotwendig eine Entscheidung üb...