Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.10.1995; Aktenzeichen 2/4 O 136/95)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 11.10.95 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt 20.627,19 DM.

 

Gründe

Die Berufung ist nicht begründet. Zurecht hat das Landgericht einen Anspruch des klagenden Landes auf Erstattung der Mehrkosten bejaht, die dadurch entstanden sind, daß die der Beklagten aufgetragenen Leistungen nach der Entziehung des Auftrages von einem Dritten ausgeführt wurden (§§ 8 Nr. 3 Abs. 2, 5 Nr. 4 VOB/B).

Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Werkvertrag zu den Bedingungen des Auftragsschreibens vom 29.6.1993 in Verbindung mit dem Angebot der Beklagten vom 23.6.93 zustandegekommen. Dieser Vertrag ist nicht wegen versteckten Einigungsmangels nach§ 155 BGB unwirksam. Der Inhalt der abgegebenen Erklärungen sowohl der Beklagten als auch des Klägers stimmen überein. Objektiv bezog sich der angebotene Einheitspreis der Beklagten für Gefälle-Dämmplatten gemäß Position 10 des Leistungsverzeichnisses auf einen Kubikmeter, nicht aber einen Quadratmeter. Auch zu Position 27 bezieht sich das Angebot der Beklagten nach dem eindeutigen Wortlaut des Leistungsverzeichnisses auf Quadratmeter und nicht auf laufende Meter. Die Formulierung des Angebotes ist nicht objektiv mehrdeutig. Demgemäß ergibt die Auslegung nicht, daß die Parteien bei sich äußerlich deckenden Erklärungen etwa die verwendeten Begriffe unterschiedlich verstanden haben.

Zurecht geht das Landgericht ferner davon aus, daß die Beklagte ihre Willenserklärung nicht wegen Irrtums angefochten hat. Die Beklagte bringt gegen die Auslegung des Landgerichts, daß in den Schreiben der Beklagten vom 15.7.93 und 23.7.93 eine Anfechtungserklärung nicht zu erblicken sei, nichts vor.

Die Klägerin war nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B berechtigt, den Werkvertrag zu kündigen, da die Beklagte die Vertragserfüllung verweigerte und die ihr nach § 5 Nr. 4 VOB/B gesetzte Frist, mit der Ausführung zu beginnen, fruchtlos abgelaufen war.

Der danach bestehende Kostenerstattungsanspruch des Landes nach § 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B ist nicht wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben ausgeschlossen.

In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, ob die Beklagte die ausgeschriebenen Leistungen zu einem unangemessen niedrigen Preis angeboten hat, so daß ihr nach § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A der Zuschlag nicht hätte erteilt werden dürfen. Diese Bestimmung dient vor allem dem Schutz des Auftraggebers vor den Gefahren, die mit der Vergabe eines Auftrages an einen Anbieter, der zu nicht mehr kostendeckenden Preisen anbietet, und deshalb den Auftrag möglicherweise nicht ordnungsgemäß zu Ende führen kann, verbunden sind (BGH NJW 1980, 180). Hingegen ist es nicht Zweck dieser Bestimmung, einen Anbieter vor seinem eigenen zu niedrigen Angebot zu schützen. Das Risiko einer Fehlkalkulation trifft vielmehr grundsätzlich den Anbieter (BGH a.a.O.).

Treu und Glauben könnte dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers allerdings dann entgegenstehen, wenn der Kläger den (angeblichen) Kalkulationsirrtum der Beklagten oder ein etwaiges Mißverhältnis zwischen Preis und Leistung erkannt hätte. Da der Kläger Bauleistungen ausschrieb und die Beklagte ein Angebot abgab, bestand für beide nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte die Rechtspflicht zu redlichem Verhalten. Deshalb muß ein Auftraggeber, der einen Kalkulationsirrtum des Anbieters vor Vertragsschluß erkennt, den Anbieter darauf hinweisen. Tut er das nicht, darf er den Anbieter nach Erteilung des Auftrages gem. § 242 BGB nicht am Vertrag festhalten (BGH a.a.O.).

Hier indes kann eine Kenntnis der zuständigen Mitarbeiterin des Staatsbauamtes von dem (angeblichen) Kalkulationsirrtum der Beklagten nicht festgestellt werden. Für eine derartige Kenntnis sprechen zwar verschiedene Umstände. So lag der Angebotspreis der Beklagten im Endergebnis etwa 25 % niedriger als der des nächstgünstigen Bieters. Diese Differenz ergab sich ganz offensichtlich im wesentlichen aus dem Einheitspreis für Gefälledämmplatten, der sich auf weniger als 15 % der von den anderen Bietern für diese Position angebotenen Preise belief. Im Hinblick darauf sah sich auch die Zeugin M. die bei dem Staatsbauamt die eingehenden Angebote prüfte, veranlasst, bei der Beklagten telefonisch nachzufragen, ob die Beklagte die Arbeiten zum angebotenen Preis ausführen könne.

Gleichwohl bestehen gewichtige Zweifel daran, ob die Zeugin M. den Kalkulationsirrtum der Beklagten oder ein objektives Mißverhältnis zwischen Gesamtpreis und Leistung positiv erkannt hatte. Denn die Zeugin hat ausgesagt, bei der Prüfung des Angebotes nicht zu der Auffassung gelangt zu sein, daß der Beklagten unbewußt ein Fehler unterlaufen sei. Vielmehr hielt die Zeugin es für möglich, daß die Beklagte aus besonderen Gründen mit 25,50 DM bewußt einen...

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