Leitsatz (amtlich)
Zum Erfordernis der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht im Arzthaftungsprozess.
Normenkette
BGB §§ 280, 278, 281, 831
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-18 O 239/06) |
Gründe
I. Die Klägerin ist die Krankenversicherung des am 17.1.2000 geborenen Kindes ...
Sie macht übergegangene Schadensersatzansprüche wegen vermeintlicher geburtshilflicher Fehler geltend. Die am Berufungsverfahren nicht mehr beteiligten Beklagten zu 1.) und 2.) sind der Träger der Geburtsklinik bzw. die dort beschäftigte Hebamme. Der Beklagte zu 3.) war gynäkologischer Belegarzt in der Geburtsklinik.
Die Mutter des Versicherten war von dem Beklagten zu 3.) gynäkologisch betreut worden. Es bestand die Gefahr einer Frühgeburt, weswegen sie bereits am 8.12.1999 in der Klinik der Beklagten zu 1.) stationär aufgenommen und bis zum 16.1.2000 tokolytisch behandelt worden war. Am Tag der Geburt brachte man die Mutter des Versicherten nach einem Wehensturm um 16.00 Uhr in den Kreissaal. Der Beklagte zu 3.) untersuchte sie dort gegen 17.30 Uhr. Es ist streitig, ob zu diesem Zeitpunkt Anzeichen einer beginnenden Geburt vorlagen. Außerdem ist streitig, ob der Beklagte zu 3.) im Kreissaal verblieb oder ob er sich entfernte und in seine Praxis begab.
Das Partogramm (Anlage K 4 - Bl. 46 d.A.) enthält u.a. folgende Eintragungen:
"... 16.45 Uhr: Patientin übergibt sich unter Partusisten, Wehen regelm, Pat. hat Pausen. SP BS (Anm.: Spontaner Blasensprung), FW (Anm.:Fruchtwasser) klar, (17.30 Uhr)
17.40 Uhr: Patientin hat leichten Pressdrang, Partusistendr. ab
18.30 Uhr: Heb. Empfehlung - - VE (Anm.: Vakuumextraktion) (mehrmalig) auch vorbereitet
Pat. Unkooperativ. Bradykardie in der AP (Anm.: Austreibungsperiode)
Pat. Presst spontan. Hilfe nach Kristeller!
18.53 Uhr: Zeichen: männl. Kristellern. Mangelnde Kooperation (Anm.:s tammt vom Beklagten zu 3.)
Spontanpartus aus erster Hinterhauptslage, Kind gestresst, Rehamaßnahme:
Anästhesie, Kinderarzt, s. Bericht (Anm.: stammt von der Beklagten zu 2.)..."
Der dann hinzu gerufene Kinderarzt traf nach ca. 12 Minuten ein und veranlasste die Verlegung des zyanotischen und schlaffen Kindes in die Intensivstation der Kinderklinik der Universität X, wohin es mit dem Notarztwagen verbracht wurde. Dort verblieb es bis zum 27.1.2000. Die Symptome besserten sich. Bis Februar 2004 verblieb eine sog. "Erb'sche Lähmung" rechts, das Kind konnte den rechten Arm nicht über die Horizontale hinaus heben. Dauerhaft ist eine leichte Armbehinderung bestehen geblieben.
Die Klägerin hat den Beklagten vorgeworfen, die Geburt pflichtwidrig verzögert zu haben. Sie hat sich auf einen ausführlichen Bericht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 30.5.2005 gestützt, in dem die Krankenunterlagen ausgewertet worden sind (Anlage K 5 - Bl. 51 ff. d.A.). Die im Geburtsbericht und in den CTG's dokumentierten Auffälligkeiten hätten spätestens ab 18.10 Uhr eine operative Entbindung erforderlich gemacht. Dies sei unterblieben, weswegen es zu einer fetalen Asphyxie gekommen sei. Trotz der vom Beklagten zu 3.) selbst eingeräumten fetalen Bradykardie und einer vermutlich eingetretenen Schulterdystokie habe er das Kind durch sog. "Kristellern" entwickelt. Das sei eine kontraindizierte Behandlung gewesen. Die Beklagten hätten es auch zu verantworten, dass das Kind erst verspätet mit einem Notarztwagen in die Kinderklinik nach X habe verbracht werden können. Der Klägerin seien aufgrund der Fehlbehandlung der Beklagten die im Schreiben vom 2.5.2007 aufgeführten Nachbehandlungskosten für die stationären Aufenthalte in der Kinderklinik der Universität ... und in anderen Krankenhäusern, für den Notarztwagen sowie für krankengymnastische Behandlungen i.H.v. insgesamt 48.048,70 EUR entstanden (Bl. 233 f. d.A.).
Die Beklagten zu 1.) und 2.) einerseits und der Beklagte zu 3.) andererseits haben sich gegenseitig für die Komplikationen der Geburt verantwortlich gemacht. Die Beklagten zu 1.) und 2.) haben vorgetragen, der Beklagte zu 3.) habe ab 17.30 Uhr die Geburtsleitung im Kreissaal übernommen und mehrere dokumentierte Anregungen der Beklagten zu 2.) missachtet, das Kind bereits nach 18.10 Uhr durch Vakuumextraktion zu entbinden. Der Beklagte zu 3.) hat behauptet, er habe die Mutter um 17.30 Uhr untersucht, wobei sich keine Auffälligkeiten oder ein unmittelbar bevorstehender Beginn der Geburt gezeigt hätten. Deshalb habe er sich wieder aus dem Kreissaal entfernt und sei erst um 18.45 Uhr hinzugerufen worden, nachdem Komplikationen aufgetreten seien. Er habe dann fachgerecht gehandelt, indem er die der Geburt unzuträgliche Schonhaltung der Mutter beendet und das Kind durch Kristellern entwickelt habe. Von einer Schulterdystokie sei ihm nichts aufgefallen oder bekannt geworden.
Das LG hat den Beklagten zu 3.) verurteilt, der Klägerin die im Schreiben vom 2.5.2007 aufgeführten Kosten zu ersetzen. Es hat ferner festgestellt, dass er der Klägerin auch alle weiteren Aufwendungen zu erstatten hat, die aus...