Entscheidungsstichwort (Thema)
Gingko-Extrakt als neuartiges Lebensmittel
Leitsatz (amtlich)
1. Die Klägerin ist für das Vorliegen einer signifikanten pharmakologischen Wirkung eines Mittels darlegungs- und beweispflichtig. Beruft sie sich auf wissenschaftliche Studien zu anderen Mitteln, bedarf es konkreter Anhaltspunkte dafür, dass das Präparat monografiekonform ist.
2. Die Neuartigkeit eines Lebensmittelextraktes ist zu verneinen, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt eine nennenswerte Verwendung des Ausgangsstoffs stattgefunden hat (Ginkgo-Blätter) und das Endprodukt dem Ausgangsstoff im Wesentlichen entspricht. Das hängt davon ab, ob die Herstellung des Extraktes zu maßgeblichen Veränderungen führt. Die Beklagte muss daher die Einzelheiten ihres Herstellungsverfahrens offenlegen.
3. Das Gericht ist nicht an die behördiche Einordnung ähnlicher Extrakte in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union gebunden.
Normenkette
AMG § 21; UWG § 3a; EUVO 2015/2283 Art. 3, 6
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.04.2021; Aktenzeichen 2-3 O 283/19) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.4.2021 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110.000 EUR abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in Höhe von 110.000 EUR leistet.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollsteckenden Betrages leisten.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 400.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über das Inverkehrbringen eines Ginkgo-Präparats als Nahrungsergänzungsmittel.
Die Klägerin produziert und vertreibt das pflanzliche Arzneimittel "Tebonin* forte 40 mg" zur Behandlung von Hirnleistungsstörungen, das den Wirkstoff Ginkgo-biloba-Trockenextrakt beinhaltet. Das Präparat ist apothekenpflichtig im Sinne des § 43 Abs. 1 AMG.
Die Beklagten vertreiben und/oder bewerben jeweils das Mittel mit der Bezeichnung "Zirkulin Ginkgo Zink und B-Vitamine". Das Präparat enthält eine Kombination aus 100 mg Ginkgoblätterextrakt, Zink und verschiedenen B-Vitaminen. Ginkgo biloba Blätter enthalten Terpenlactone, sog. "Ginkgolide" und "Bilobalide". Das in Streit stehende Produkt wird von den Beklagten als "Nahrungsergänzungsmittel" bezeichnet. Es hat keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Auf der Rückseite der Umverpackung heißt es wie folgt:
"Für Gehirn, Nerven und den Energiestoffwechsel"
und
"Zirkulin Ginkgo Tabletten enthalten einen hochwertigen Ginkgo-Extrakt, dessen Inhaltsstoffe zur Mikrodurchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns beitragen können."
Die Klägerin mahnte die Beklagten wegen des ihrer Ansicht nach unzulässigen Vertriebs des streitgegenständlichen Produkts mit anwaltlichen Schreiben vom 19.4.2019 ab und forderte diese zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (Anlage K20).
Die Klägerin ist der Ansicht, das Präparat der Beklagten sei wegen seiner pharmakologischen Wirkung als Arzneimittel einzustufen. Ginkgoblätterextrakte in einer Tagesdosis von 100 mg seien als Funktionsarzneimittel anzusehen. Sie hat behauptet, das Droge-Extrakt-Verhältnis des Präparats der Beklagten betrage 50: 1. Hilfsweise beruft sich die Klägerin darauf, das Produkt der Beklagten verstoße gegen die Novel-Food-Verordnung, da entsprechende Extrakte vor dem 15.5.1997 nicht in der Europäischen Union verzehrt worden seien. Die Beklagten würden zudem mit unzulässigen irreführenden Wirkungsaussagen werben.
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie sind der Ansicht, das streitgegenständliche Präparat sei weder ein Funktionsarzneimittel noch ein Präsentationsarzneimittel. Es sei auch kein Novel Food, da Ginkgoblätter und Ginkgo-Blattpulver bereits vor dem 15.5.1997 in nennenswertem Umfang in die Europäische Union für die Verwendung in Nahrungsergänzungsmitteln geliefert worden seien. Der streitgegenständliche Extrakt werde mit einem traditionellen Herstellungsverfahren aus Ginkgoblättern hergestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Beklagten wie folgt verurteilt:
1. Die Beklagten zu 1 - 4) werden verurteilt, es künftig bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letzteres zu vollziehen an dem jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu...