Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationale Zuständigkeit: Erfüllungsort; Verweisung im Berufungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Kaufvertrag über bewegliche Sachen umfasst die besondere Zuständigkeit des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 lit. b erster Spiegelstrich EuGVVO auch die Schadensersatzklage des Käufers gegen den Verkäufer wegen angeblicher Mängel der Kaufsache.
2. Allein die Tatsache, dass eine Partei im Rahmen einer mehrjährigen Geschäftsbeziehung bei Abwicklung eines später geschlossenen Vertrages eine Rechnung übersendet, die erstmalig eine Gerichtsstandsklausel enthält, und die andere Partei der Geltung der Gerichtsstandsklausel nicht widerspricht, genügt nicht, um die auch bei der sog. "halben" Schriftlichkeit nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. a Fall 2 EuGVVO erforderliche Willensübereinstimmung hinsichtlich einer Gerichtsstandsvereinbarung zu begründen.
3. Hat das LG die Klage wegen fehlender (internationaler) Zuständigkeit abgewiesen, hat das Berufungsgericht den Rechtsstreit unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung durch Urteil an das zuständige LG zu verweisen.
Normenkette
EGV 44/2001 Art. 2, 5 Nr. 1 Buchst. b Ss 1, Art. 23 Abs. 1 S. 3 Buchst. a Alt. 2; ZPO § 281
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.01.2012; Aktenzeichen 2-20 O 86/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 18.1.2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 20. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird auf Antrag des Klägers an das international und örtlich zuständige LG Hanau verwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1, 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO).
I. Auf die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LG Hanau zu verweisen.
Das LG ist zu Unrecht von einem Fehlen der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausgegangen.
1. Auf den vorliegenden Rechtsstreit findet die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000, ABl. EG 2001 Nr. 12, S. 1 (im Folgenden: EuGVVO) Anwendung. Diese Verordnung ist gem. Art. 76 am 1.3.2002 für die Mitgliedstaaten der EG (jetzt: EU) mit Ausnahme Dänemarks (vgl. Art. 1 Abs. 3, Erwägungsgründe 21 und 22) in Kraft getreten und gilt gem. Art. 66 Abs. 1 für alle Klagen, die nach ihrem In-Kraft-Treten erhoben werden. Da die Klage am 18.3.2010 eingereicht wurde, ist die Verordnung anwendbar.
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte beurteilt sich, da die Parteien ihren Sitz jeweils im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben und die in Italien ansässige Beklagte abweichend von Art. 2 EuGVVO vor den Gerichten eines anderen Mitgliedsstaates, nämlich in Deutschland, verklagt wird, gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 EuGVVO nach Maßgabe der Art. 5 bis 24 EuGVVO.
2. Die internationale Zuständigkeit ist jedoch nicht schon durch rügelose Einlassung gem. Art. 24 Satz 1 EuGVVO begründet worden. Die Beklagte hat das Fehlen einer internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte in beiden Rechtszügen von Anfang an gerügt und in zulässiger Weise lediglich vorsorglich für den Fall, dass das angerufene deutsche Gericht den Gerichtsstaat nach dem maßgeblichen Zuständigkeitsrecht für international zuständig halten sollte, auch Ausführungen zur Hauptsache gemacht, so dass es an einer zuständigkeitsbegründenden Einlassung auf das Verfahren i.S.v. Art. 24 Satz 1 EuGVVO fehlt.
3. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Parteien gem. Art. 23 Abs. 1 EuGVVO wirksam eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hätten, mit welcher die internationale Zuständigkeit bei dem LG Frankfurt/M. begründet worden wäre.
Eine schriftliche Vereinbarung gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. a) Alt. 1 EuGVVO ist, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, nicht zustande gekommen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist jedoch auch nicht das Vorbringen des Klägers erwiesen, die Beklagte sei mit einem Gerichtsstand in Frankfurt/M. einverstanden gewesen, was dann schriftlich bestätigt worden sei.
Gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. a) Alt. 2 EuGVVO kann allerdings eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam auch dadurch zustande kommen, dass ein mündlich vereinbarter Gerichtsstand schriftlich bestätigt wird, sog. halbe Schriftlichkeit (Zöller/Geimer, 30. Aufl., Art. 23 EuGVVO, Rz. 16). Eine Gerichtsstandsvereinbarung setzt mithin gem. Art. 23 Abs. 1 EuGVVO neben der Einhaltung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten eine entsprechende Willenseinigung der Parteien voraus.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht jedoch nicht zur erforderlichen Überzeugung des Senats fest, dass es zwischen den Parteien zu einer entsprechenden Einigung auf einen Gerichtsstand in Frankfurt/M. ...