Entscheidungsstichwort (Thema)
Diesel-Skandal: Keine Ansprüche für im September 2019 erworbenen gebrauchten Golf mit Motor EA288
Verfahrensgang
LG Kassel (Urteil vom 24.11.2021; Aktenzeichen 6 O 1489/21) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 24. November 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das vorliegende Urteil und das erstinstanzliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens wird auf 23.554,56 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des Kaufs eines angeblich mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenen Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte am 2. September 2019 von einem privaten Verkäufer einen gebrauchten, erstmals am 6. November 2017 zugelassenen Volkswagen Golf VII GTD 2.0 TDI mit einer Laufleistung von 30.000 km zum Preis von 27.500,00 Euro.
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 mit einer Leistung von 135 kW (184 PS) ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Bei Motoren der genannten Baureihe wird zur Verringerung der Stickoxidemissionen ein Teil des Abgases in das Ansaugsystem des Motors zurückgeführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Unterhalb und oberhalb bestimmter Außentemperaturen wird diese Abgasrückführung herabgesetzt (Thermofenster). Es erfolgt eine Abgasnachbehandlung mittels eines NOx-Speicherkatalysators (Seite 37 des Schriftsatzes des Klägers vom 16. November 2021, Band II Blatt 221 der Akten; Seite 3 der Berufungserwiderung, Band II Blatt 407 der Akten).
Ursprünglich war in der Steuerungssoftware von Motoren der Baureihe EA 288 eine so genannte Akustikfunktion inklusive Fahrkurve implementiert. Hierüber informierte die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) am 2. Oktober 2015. Entsprechend äußerte sich die Beklagte in einem an das Kraftfahrt-Bundesamt gerichteten Schreiben vom 29. Dezember 2015, mit dem sie die mit der Behörde inhaltlich abgesprochene Applikationsrichtlinie EA 288 vom 18. November 2015 übersandte. In dem Schreiben heißt es unter anderem, die Akustikfunktion inklusive Fahrkurve habe in der Aggregatbaureihe EA 288 keinen Einfluss auf die Emissionen; ab dem Modelljahreswechsel in der 22. Kalenderwoche des Jahres 2016 werde die Funktion aus allen neuen mit NOx-Speicherkatalysator-Technologie ausgestatteten Aggregateprojekten entfernt.
Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnete für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs nach eingehenden Untersuchungen des Abgasverhaltens von Motoren der Baureihe EA 288 keinen emissionsbedingten Rückruf an.
Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe das streitgegenständliche Fahrzeug bewusst und gewollt mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet. Unzulässig sei das nicht zum Bauteilschutz erforderliche Thermofenster, das bewirke, dass die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter 20 Grad Celsius und über 30 Grad Celsius herabgesetzt werde. Die in der Motorsteuerungssoftware implementierte Zykluserkennung habe nach erkanntem Prüfstandslauf die Abgasbehandlung ausschließlich auf dem Prüfstand optimiert, um die Einhaltung des maßgeblichen Stickoxidgrenzwerts vorzutäuschen, der im realen Straßenverkehr erheblich überschritten werde. Die Beklagte habe dies gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt verschwiegen, um sich die Typgenehmigung zu erschleichen. Zu diesem Zweck habe die Beklagte auch das Onboard-Diagnose-System des Fahrzeugs manipuliert. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihn die Beklagte hierdurch in vorsätzlich sittenwidriger Weise geschädigt habe. In Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtungen hätte er den wegen des Risikos einer Betriebseinschränkung oder -untersagung nachteiligen Kaufvertrag nicht geschlossen. Die Beklagte müsse daher die wirtschaftlichen Folgen dieses Kaufvertrags rückgängig machen.
Erstinstanzlich hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung von 25.744,68 Euro (Kaufpreis abzüglich einer auf der Grundlage einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 500.000 km berechneten Nutzungsentschädigung) nebst gesetzlicher Verzugszinsen seit dem 23. Juli 2021 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Anspruch genommen. Darüber hinaus hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.296,70 Euro nebst Verzugszinsen begehrt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat das Vorhandensein unzulässiger...