Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nur bei konkretem Anlass

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BeurkG folgende Pflicht zur Rechtsbelehrung über die rechtliche Tragweite des beabsichtigten Rechtsgeschäfts verlangt eine Aufklärung über die formellen und materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen ebenso wie über die außerhalb der Beurkundung erforderlichen weiteren Voraussetzungen zur Erreichung der mit dem Rechtsgeschäft beabsichtigten Wirkungen, die unmittelbaren Rechtsfolgen und über etwaige Hindernisse beim Vollzug des beurkundeten Rechtsgeschäfts (BGH DNotZ 2005, 847; Ganter in: Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 2. Aufl. 2009, Rz. 992 m.w.N.). Diese Aufklärung durch den Notar dient zwar in erster Linie dazu, dass eine rechtswirksame Urkunde über das von den urkundsbeteiligten Parteien erstrebte Rechtsgeschäft errichtet werden kann. Ergeben sich indes dabei aus konkretem Anlass Zweifel über den wahren Willen der Beteiligten, so muss der Notar zunächst die Grundlagen der Beurkundung klären, um auf diese Weise den "wahren Willen" der Beteiligten zu erfahren.

2. Wird ein Notar von den Urkundsbeteiligten nur darüber informiert, dass sie die Beurkundung eines Kaufvertrages wünschen, und erhält er weder vor noch bei der Beurkundung konkrete weitergehende Informationen über den wirtschaftlichen Hintergrund des Kaufgeschäfts, so besteht für den Notar keine Pflicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts.

Veranlassung zu weitergehender Aufklärung hat ein Notar nur dann, wenn bspw. einer der Urkundsbeteiligten oder ein bei der Beurkundung anwesender Dritter den Notar eindeutig und nicht missverständlich darauf hinweist, dass es wenigstens einem der Urkundsbeteiligten nicht um die Beurkundung eines Kaufvertrages, sondern um ein in geeigneter Weise notariell abzusicherndes Darlehen gehe.

 

Normenkette

BNotO § 19; BeurkG § 17 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Urteil vom 28.10.2010; Aktenzeichen 3 O 120/10)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 28.10.2010 verkündete Urteil des LG Wiesbaden - 3. Zivilkammer - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen notarieller Pflichtverletzung.

Die beklagte Notarin beurkundete am ... 2002 (Bl. 20ff GA), nachdem sie unter dem ... 2002 dem Kläger zunächst einen entsprechenden Entwurf übersandt hatte, einen notariellen Kaufvertrag zwischen dem Kläger als Käufer und einem Herrn A über eine noch zu errichtende Eigentumswohnung. Der Kaufpreis betrug 159.000,- EUR. Für den Kläger wurde eine Auflassungsvormerkung bestellt.

Im Anschluss an die Beurkundung übergab der Kläger in den Büroräumen des Verkäufers diesem darlehensweise 150.000 EUR.

Mit notarieller Urkunde der Beklagten vom ... 2003 (Bl. 58 ff GA) wurde der Kaufvertrag einvernehmlich aufgehoben. Am ... 2003 erfolgte die Löschung der Auflassungsvormerkung.

In den Folgejahren zahlte der Darlehensnehmer A einschließlich Zinsen insgesamt etwa 118.000,- EUR an den Kläger zurück und ließ bezüglich einer von ihm anerkannten Restforderung von 61.584,12 EUR nebst Zinsen ab dem 21.6.2004 gegen sich am 25.10.2006 ein Versäumnisurteil ergehen. Ein Vollstreckungsversuch verlief erfolglos.

Dieser Betrag ist Gegenstand des Schadensersatzbegehrens des Klägers.

Der Kläger trägt vor, er lebe erst seit 20 Jahren in Deutschland und habe auf Vermittlung eines seiner Kunden, des Zeugen B, dem ihm nicht bekannten Herrn A 150.000 EUR als Darlehen zur Verfügung stellen wollen. Auf Anraten seiner Bank habe er auf einer notariellen Absicherung des Darlehens bestanden; Herr A habe daraufhin eine Beurkundung bei der Beklagten veranlasst. Den ihm zugeleiteten Kaufvertragsentwurf habe er nicht verstanden. Er selbst habe keineswegs eine Wohnung kaufen wollen. Nach Rücksprache mit dem Zeugen B sei ihm nur mitgeteilt worden, das Darlehen werde notariell abgesichert. Bei Verlesung der Urkunde habe er indes bemerkt, dass der verlesene Text nicht seinem Willen entsprochen habe. Auch der Zeuge B habe die Beklagte zu Beginn der Verlesung der Urkunde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht um einen Kaufvertrag, sondern um ein zu sicherndes Darlehen gehe. Die Beklagte habe entgegnet, dass sie die finanziellen Dinge zwischen ihm und Herrn A nicht interessierten, und die Verlesung der Urkunde fortgesetzt. Er, der Kläger, habe dann nicht weiter widersprochen, weil er davon ausgegangen sei, dass er in Gestalt der Eigentumswohnung eine Sicherung erhalte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des Urteils des LG Wiesbaden vom 28.10.2010, Bl. 168 ff GA, verwiesen.

Das LG hat die Klage a...

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