Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Verjährungseinrede bei jahrzehntelangen Verhandlungen über Baumängel

 

Leitsatz (amtlich)

Errichtet eine städtische Tochtergesellschaft eine Reihenhaussiedlung und verhandelt jahrzehntelang mit den Hauseigentümern über Mängel, verstößt die Erhebung der Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben.

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Entscheidung vom 30.06.2017; Aktenzeichen 5 O 126/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 30.6.2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsrechtszuges an das Landgericht Wiesbaden zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft nimmt die beklagte städtische Wohnungsbaugesellschaft auf Nachbesserung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum, Schadensersatz und Übernahme der Kosten eines vorgerichtlichen Sachverständigen in Anspruch. In der Sache geht es um Wassereintritt und Schimmelbildung wegen fehlerhafter Abdichtung von (Reihen-) Hausdächern und aufgrund fehlerhafter Abdichtung von Fugen zwischen Innen- und Außenwänden. Die Gebäude sind in Form mehrerer Ketten errichtet (Anl. K0). Die Fassaden sind unterschiedlich farblich angelegt. Die Sanierung der "blauen Häuser" ist abgeschlossen, die Sanierung der roten, gelben und grünen Häuser ist streitgegenständlich.

Dem liegen notariell beurkundete Bauträgerverträge mit Herstellungsverpflichtung aus dem Jahr 1998 zu Grunde. Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums erfolgte am 24.7.1998 wirksam durch die Ersterwerber. Am 26.11.2002 leiteten die Wohnungseigentümer gegen die Beklagte ein selbstständiges Beweisverfahren vor dem LG Wiesbaden ein (Az. ...). Dort wurde der hiesigen Streithelferin der Beklagten von dieser der Streit verkündet. Nach dem Sachverständigengutachten SV1 vom 7.9.2005 sollen die gemeinschaftlichen Dächer aller Häuserzeilen nicht mit der erforderlichen Abdichtung ausgerüstet sein (streitig). Gemäß Gutachten vom 8.10.2005 handele es sich nicht um einzelne handwerkliche Fehlleistungen, sondern um Systemfehler (streitig). Die Beklagte bot eine Sanierung gemäß Gutachten SV2 aus dem Jahr 2009 an, die in Angriff genommen wurde. Die blauen Häuser wurden saniert (Warmdach statt Kaltdach). In der Folgezeit entstand erneut Streit darüber, wie die Mängel der übrigen Häuser fachgerecht zu beheben seien. Nach dem von der Beklagten eingeholten Privatgutachten SV3 vom 8.10.2015 (Anlage K 38) weist der Bestand zwar Mängel auf, deren Behebung aus technischen Gründen aber nicht geboten sei (streitig). Die Beklagte lehnte daher am 12.4.2016 (K 39) weitere Sanierungsarbeiten an den roten, grünen, und gelben Gebäuden ab.

Über die Durchführung des streitigen Verfahrens lagen erstinstanzlich zwei Beschlüsse der WEG vor:

Der Beschluss vom 14.12.2011, Bl. 184, lautet, "Die Eigentümergemeinschaft wird die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme vor Durchführung der Mangelbeseitigung im Wege der Vorschussklage gegenüber der A GmbH geltend machen".

Der Beschluss vom 16.3.2017, K 55, lautet, "Die WEG sollte die den einzelnen Eigentümern zustehenden Ansprüche auf Bevorschussung der erforderlichen Mangelbeseitigungskosten im Wege der Vorschussklage geltend machen können. Die Wohnungseigentümer genehmigen rückwirkend sämtliche Rechtshandlungen und Willenserklärungen und übertragen die Befugnis zur außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung ihrer Mängelansprüche in Ansehung der nachstehend aufgeführten Mängel gemäß § 10 Abs. 6 WEG an die WEG zur Geltendmachung durch diese." Es folgt eine stichwortartige Aufzählung der Mängel.

Im Rechtszug vor dem Landgericht hat die Beklagte den mit der Objektplanung und Bauüberwachung beauftragten Architekten den Streit verkündet. Diese sind dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, die Verjährung sei durch das von den einzelnen Eigentümern eingeleitete selbstständige Beweisverfahren gehemmt worden. Die Beklagte habe ihre Verpflichtung zur Mangelbeseitigung wiederholt anerkannt. Der unzureichende Dachaufbau und die technisch fehlerhafte Abdichtung der Fugen führe zu Schäden an der Bausubstanz durch Feuchtigkeitseinwirkung und Schimmelbildung. Derartige Schäden seien an verschiedenen Häusern seit 2012 immer wieder aufgetreten (Bl. 24 ff.). Die Mängel an der Abdichtung führten zu einer Wertminderung des jeweiligen Wohnungseigentumsanteils um 50.000 EUR.

Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, die gewählte Konstruktion führe zu keiner Funktionsbeeinträchtigung der Gebäude. Die begehrte Nachbesserung sei unverhältnismäßig im Sinne von § 635 Abs. 3 BGB . Sie werde Kosten i.H.v. mehreren 100.000 EUR verursachen. Die erstmals 10 Jahre nach Abnahme neu gerügten Mängel (Bl. 67, 68) seien verjährt. Die durchgeführte Beweisaufnahme sei nicht ausreichend, weil der Sachverständige SV1 höchstens 25 % der Dächer untersucht habe un...

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