Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweislast für Notwehrlage
Leitsatz (amtlich)
1. Es gibt keine auf einen entsprechenden Erfahrungssatz gestütze Beweisregel, dass der Aussage eines Nachbarn überhaupt nicht oder nur bei Bestätigung durch objektive Beweismittel geglaubt werden darf.
2. Ein Holzstab ist kein lebensgefährliches Verteidigungsmittel, bei dem in Bezug auf das Notwehrrecht gewisse Abstufungen (Erfordernis der Androhung des Einsatzes der Waffe usw.) in Betracht kommen können.
Normenkette
BGB §§ 227, 823 Abs. 1-2; StGB §§ 32, 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, § 253 Abs. 2, § 254
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 24.09.2021; Aktenzeichen 7 O 630/20) |
Tenor
Das am 24. September 2021 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hanau wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage bleibt abgewiesen.
Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an den Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 10.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von EUR 5.000,00 seit dem 28. Mai 2019 und aus einem weiteren Betrag in Höhe von EUR 5.000,00 seit dem 26. Mai 2020 sowie überdies einen Betrag in Höhe von EUR 2.421,46 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Mai 2020 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, dem Beklagten sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus dem Vorfall in Folge der vorsätzlichen Körperverletzung in der Straße1 in Gemeinde1-Ortsteil1 vom ....2018 entstanden sind und künftig entstehen, mit Ausnahme der Ansprüche, die auf Dritte, vor allem Versicherungs- oder Sozialversicherungsträger, übergehen und übergegangen sind.
Der Kläger wird ferner verurteilt, an den Beklagten außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von EUR 887,03 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Mai 2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug hat der Kläger 85 % und der Beklagte 15 % zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gesamten vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten mit Klage und Widerklage um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche in Folge einer körperlichen Auseinandersetzung.
Am ....2018 parkte der Kläger, Widerbeklagte und Berufungskläger (im Folgenden: der Kläger) mit dem Lastkraftwagen seines Arbeitgebers in der Straße1 in der Gemeinde1-Ortsteil1 vor dem Grundstück mit der Hausnummer ... auf der linken Fahrbahnseite entgegen der Fahrtrichtung, um zusammen mit seinem Kollegen, dem Zeugen A, dem in der Hausnummer ... lebenden Zeugen ... Möbelstücke zu liefern.
Auf der dem abgestellten Lastkraftwagen gegenüberliegenden Straßenseite waren weitere Personenkraftwagen geparkt, was zu einer Verengung des Fahrweges führte.
Der Beklagte, Widerkläger und Berufungsbeklagte (im Folgenden: der Beklagte) wollte die Straße1 aus Richtung der Straße2 mit seinem Personenkraftwagen passieren, um zu seinem gegenüberliegenden Grundstück (Straße1 ...) zu fahren.
In der Folge kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Beklagten, die sich auf die Parksituation bezog.
Der Beklagte fuhr links neben dem Lastkraftwagen vorbei über das Grundstück Straße1 ... und stellte seinen Personenkraftwagen sodann in seiner Einfahrt auf der gegenüberliegenden Straßenseite ab.
Der Kläger lief in Richtung des Beklagten. Es folgte eine körperliche Auseinandersetzung, wobei die Einzelheiten und der Verlauf streitig sind. Bei der Auseinandersetzung kam ein Holzstab zum Einsatz, der zuvor im Besitz des Beklagten war. Die Ehefrau des Beklagten beendete die Auseinandersetzung zwischen den Parteien, indem sie den Holzstab ergriff.
Der Kläger hat behauptet, er habe den Lastkraftwagen so weit links auf der Straße1 geparkt, dass der Verkehr nicht beeinträchtigt und ein Durchfahren auf einer Spur noch möglich gewesen sei. Der Beklagte habe die Möglichkeit gehabt, den Lastkraftwagen bei langsamer Durchfahrt zu passieren. Stattdessen habe der Beklagte den Kläger beschimpft. Der Kläger habe darauf nicht reagiert.
Im Zuge des Fahrmanövers des Beklagten über den Rasen auf dem Grundstück Straße1 ... sei der Personenkraftwagen des Beklagten mit dem Kläger kollidiert, so dass der Kläger gegen den Lastkraftwagen geprallt sei. Nachdem der Beklagte seinen Personenkraftwagen in seiner Einfahrt abgestellt hatte, habe er den Kläger beschimpft. Dabei habe sich der Kläger noch auf Straße1 und nicht auf dem Grundstück des Beklagten befunden.
Der Kläger hat behauptet,...