Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine generelle Haftungsbeschränkung der Teilnehmer an einer Fahrrad-Trainingsfahrt

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einer sportlich angelegten Trainingsfahrt von Radfahrern gibt es keinen generellen Ausschluss der Haftung für gegenseitig verursachte Unfälle.

 

Normenkette

BGB §§ 276, 823

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.01.2020; Aktenzeichen 2-4 O 167/18)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 30. Januar 2019 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung aus beiden Urteilen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Das klagende Land (im Folgenden: Kläger) macht gegenüber dem Beklagten aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche des Zeugen A, eines im Landesdienst stehenden Beamten, geltend.

Der Zeuge A machte am XX.XX 2016 als Teilnehmer einer insgesamt 17-köpfigen Fahrradgruppe eine Fahrradtour auf dem Radweg zwischen Stadt1-Ortsteil1 und Stadt2 aus Richtung Stadt3 kommend. Der Beklagte und die Zeugen B und C waren ebenfalls Teilnehmer der Fahrradtour. In einem Streckenabschnitt weist der Weg ein Gefälle auf. Neben dem Zeugen A fuhr der Zeuge B, dahinter die Zeugin C. Der Beklagte versuchte, die Zeugen A und B zu überholen. Als der Beklagte auf den unbefestigten Seitenstreifen ausweichen musste, kam es zur Berührung des Fahrrads des Beklagten mit dem des Zeugen B, welcher daraufhin mit dem Zeugen A kollidierte. Alle Teilnehmer stürzten. Der Zeuge A wurde gegen einen Baum geschleudert. Er zog sich erhebliche Verletzungen, unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Schenkelhalsfraktur und Schulter- und Schlüsselbeinverletzungen.

Mit seiner Klage hat der Kläger von dem Beklagten Schadensersatz für Heilbehandlungskosten und Dienstbezüge für den Zeugen A verlangt und die Feststellung der Schadenersatzpflicht begehrt.

Er hat vorgetragen, der Beklagte habe unter keinen Umständen überholen dürfen. Der Weg sei an dieser Stelle lediglich 3,5 m breit und biete nicht ausreichend Platz für ein Überholmanöver.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich von den Parteien gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das am 30. Januar 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Begründung wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat das Landgericht der Klage stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Zur Begründung der Berufung führt der Beklagte aus, dass nicht nachgewiesen sei, dass ihn an den bei dem Zeugen A eingetretenen Verletzungen ein Verschulden treffe. Bei der Beurteilung des Verschuldens sei auf die besonderen Eigenarten des Sports und der Gepflogenheiten der Trainingsgruppe Rücksicht zu nehmen, denn diese von den Regeln des gemeinsamen Sports geprägten Maßstäbe fänden nicht nur bei Wettkämpfen, sondern auch bei Trainingsfahrten Anwendung. Alle Teilnehmer einer Trainingsfahrt nähmen in Kauf, dass es bei Einhaltung der einschlägigen Regeln wegen der erhöhten Gefährlichkeit einer sportlichen Fahrt zu Verletzungen kommen könne. Es verstoße daher gegen Treu und Glauben, wenn ein verletzter Teilnehmer andere Teilnehmer in Anspruch nehme, obwohl er ebenso in die Lage hätte kommen können, in der sich der Schädiger befinde. Eine Haftungsbeschränkung auf klare, eindeutige und gewichtige Regelverstöße jenseits sportlicher Härte, also auf eindeutig regelwidrige und unzulässige Unfairness gelte auch bei gemeinsamer sportlicher Betätigung ohne Wettkampfcharakter, insbesondere auch bei einer Radtrainingsfahrt in einer Gruppe. Bei einer solchen Fahrt begebe sich jeder Teilnehmer in Gefahrensituationen wie etwa das dichte nebeneinander und hintereinander Fahren, das Windschattenfahren und das "Kleben" am Hinterrad des Vordermanns, wobei die Regeln der StVO nicht eingehalten, sogar bewusst verletzt würden. Jeder Teilnehmer suche seinen Vorteil, so dass weder jedes fehlerhafte Steuern des Rennrads noch jeder Verstoß gegen eine Vorschrift der StVO zu einer Haftung führen könne. Eine Haftung komme nur bei gewichtigen Regelverstößen in Frage. Überholmanöver und Richtungswechsel seien beim Fahren im Pulk nicht außergewöhnlich, sondern die Regel. Nicht regelwidrig sei auch das Abbiegen im Pulk ohne Handzeichen oder sonstige Ankündigung.

Das Landgericht habe sich mit diesem besonderen Haftungsmaßstab nicht befasst. Es treffe nicht zu, dass eine Haftung nur bei einfachen Verletzungen der Sorgfaltspflicht ausgeschlossen sei; maßgeblich sei, ob sich das schädigende Verhalten als unsportliche Härte und ...

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