Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrzeugkaufvertrag: Schadenersatzanspruch aufgrund behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen
Leitsatz (amtlich)
1. Es fehlt bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems an einem arglistigen Verhalten eines Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde, wenn die in einem Fahrzeug eingesetzte temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. (Rn. 23)
2. Hat eine Fahrkurvenerkennung keinen Einfluss auf die Emissionen, weist ein Fahrzeug insoweit keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung auf. (Rn. 32)
Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 21.12.2020; Aktenzeichen 2 O 384/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 21.12.2020 wird zurückgewiesen.
Das Urteil des Landgerichts wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.612,79 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem Dieselskandal auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 6.12.2013 einen PKW Audi A3 2.0 TDI 110 kW als Neuwagen zum Preis von 30.616,00 EUR. Das Fahrzeug ist nicht mit dem Motor EA 189 ausgestattet, sondern mit dem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Motor EA 288 der Schadstoffklasse EU 5. Der Kläger hat das Fahrzeug am 23.3.2020 für 11.000 EUR bei einem Kilometerstand von 117.617 weiterverkauft.
Für das Fahrzeug des Klägers ist kein Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt angeordnet worden.
Der Kläger hat behauptet, der Motor des Fahrzeugs weise eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines "Thermofensters" auf, durch welches die Wirksamkeit der Abgasreinigung bei Temperaturen außerhalb eines Rahmens von 20°C bis 30°C erheblich sinke. Er hat weiterhin zunächst behauptet, in seinem Fahrzeug befinde sich ein SCR- Katalysator mit AdBlue-Technologie. Das Thermofenster beeinflusse auch die Zuführung von AdBlue. Er hat sich insoweit auf einen Artikel auf der Internetseite t..de vom 12.9.2019, Anl. K2, berufen. Er hat weiter behauptet, die Software schalte ab einer bestimmten Drehzahl die Abgasreinigung und den SCR-Katalysator ab bzw. reduziere dessen Leistung. Außerdem verfüge das Fahrzeug über eine Lenkwinkelerkennung. Sobald das Lenkrad um mehr als 15° gedreht werde, werde auf die Schaltpunkte des Getriebes Einfluss genommen. Die Schaltpunkte seien bei einem kalten Motor ohne Lenkwinkeleinschlag höher als nach einem Lenkradeinschlag. Dadurch würden auf dem Prüfstand geringere CO2-Emissionen und Stickoxidwerte als im Straßenverkehr produziert. In einem weiteren Schriftsatz hat es auf ein internes Dokument der Beklagten vom 18.11.2015, beschrieben als "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien und Freigabevorhaben EA 288", Anl. K6, verwiesen und behauptet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei einer "Umschaltlogik" wie in den EA 189 - Fahrzeugen verbaut. Die Motorsoftware des Fahrzeugs erkenne anhand Lenkwinkel, Temperaturen Zeiterfassung, dass das Fahrzeug dem Prüflauf nach dem neuen europäischen Fahrzyklus durchfahre und aktiviere einen speziellen Betriebsmodus, in dem die Abgasrückführung substantiell erhöht werde.
Die Beklagte hat unter Hinweis auf den entsprechenden Bericht (Anl. B1) vorgetragen, dass die Untersuchungskommission V. nach umfangreichen Felduntersuchungen auch durch RDE-Messungen (Real Drive Emissions = Emissionen im Straßenverkehr) festgestellt habe, dass die Umschaltlogik in den Motoren EA 288 nicht zum Einsatz komme. Das Emissions-Kontrollsystem des EA 288 arbeite bei voller Funktionsfähigkeit aller Bauteile in beiden Fahrsituationen (Straße und Prüfstand) mit identischer Wirksamkeit. Das zum Einsatz kommende Thermofenster sei zulässig. Die Abgasrückführung sei im Bereich zwischen -24° C und +70° C zu 100 % aktiv, außerhalb dieses Temperaturrahmens sei die Abgasrückführung inaktiv. Innerhalb des Fensters finde in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur keine kontinuierliche Abstufung, sog. Abrampung, statt. Dies bedeute, dass die Abgasrückführung entweder zu 100 % aktiv oder inaktiv sei. Im Übrigen erfüllten nach ihrer Auffassung Thermofenster bereits nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. In bestimmten Temperaturbereichen müsse die Abgasrückführungsrate aus Motorschutzgründen abgerampt (d.h. reduziert) werden. Die Beklagte hat zudem auf eine Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes (Anl. B6, Bl. 357 d.A.) in einem Parallelverfahren für einen baugleichen Motor wie demjenigen im Fahrzeug des Klägers verwiesen, wonach das Prüffahrzeug nach Untersuchung kei...