Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Widerspruchsrechts des Versicherungsnehmers bei jahrelanger Prämienzahlung und ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung
Leitsatz (amtlich)
Dem Versicherungsnehmer kann es nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages darauf zu berufen, dass die Widerspruchsfrist deshalb nicht zu laufen begonnen habe, weil angeblich die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen nicht übersandt wurden. Die jahrelangen Prämienzahlungen des Versicherungsnehmers, der bei Vertragsschluss jedenfalls durch den Versicherungsschein mit darin enthaltener ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung über die Möglichkeit belehrt wurde, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, können beim Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Vertrages begründen.
Normenkette
VVG § 5a; BGB § 242
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 30.03.2012; Aktenzeichen 2 O 126/12) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 30.3.2012 verkündete Urteil des LG Gießen wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der beklagten Versicherung die Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages aufgrund eines Widerspruchs, den die Beklagte für unwirksam hält.
Der Kläger, der selbst als Versicherungsvertreter tätig war, schloss im Jahr 2004 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Versicherungsvertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung. Hierfür erhielt er eine Provision i.H.v. 20.160,- EUR. Der Vertrag kam nach dem sog. Policenmodell zustande, indem die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger zusammen mit dem Versicherungsschein auch die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen übersandte, wobei der Kläger erstinstanzlich bestritten hat, alle Unterlagen erhalten zu haben. Der Versicherungsschein vom 28.12.2004 (Anlage B 1), auf den verwiesen wird, enthält auf Seite 2 eine Belehrung über das dem Kläger zustehende Widerspruchsrecht. In der Folgezeit bis ins Jahr 2008 leistete der Kläger jährliche Prämien in Höhe von je 25.000,- EUR, insgesamt 125.000,00 EUR.
Mit Schreiben vom 27.11.2009 (Anlage B 9) kündigte der Kläger die Versicherung. Daraufhin rechnete die Beklagte mit Schreiben vom 24.12.2009 (Anlage B 10) ab und zahlte 64.134,79 EUR an den Kläger aus.
Mit Anwaltsschreiben vom 5.1.2011 (Anlage K 4 = Bl. 49) erklärte der Kläger den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. und forderte die Beklagte vergeblich auf, die ihm nach seiner Auffassung zusätzlich zustehenden Beträge auszuzahlen.
Mit der Klage fordert er im Hauptantrag die restlichen Beitragszahlungen nebst Nutzungszinsen zurück. Die Klageforderung berechnet sich wie folgt:
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Beitragszahlungen |
125.000,- |
- |
verlangte Nutzungszinsen |
43.051,80 |
- |
abzüglich Auszahlung |
-64.134,79 |
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103.917,01 |
Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen verwiesen wird, hat das LG die Klage mit Haupt- und Hilfsanträgen abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.
Der erkennende Senat hatte die Verhandlung durch Beschluss vom 30.10.2012 (Bl. 350 d.A.) bis zur Entscheidung des BGH in der Sache IV ZR 76/11 gemäß § 148 ZPO ausgesetzt. Diese Entscheidung ist am 7.5.2014 ergangen, weshalb das Verfahren mit dem Hinweisbeschluss vom 27.10.2014 (Bl. 364 ff. d.A.) fortgesetzt wurde. Unter dem 14.8.2015 (Bl. 501 d.A.) hat der Senat den Parteien im Hinblick auf die Entscheidungen des BGH vom 29.7.2015, IV ZR 384/14 und IV ZR 448/14 weitere Hinweise erteilt.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt im Wesentlichen vor:
Die Klage sei zu Unrecht abgewiesen worden. Das LG verneine fälschlich das Widerspruchsrecht des Klägers.
Bereits das nach § 5a VVG a.F. geregelte Policenmodell verstoße gegen europäisches Recht. Der Senat sei trotz der entgegenstehenden Rechtsprechung des BGH berufen, die Sache zur Klärung der Richtlinienkonformität des Policenmodells dem EuGH vorzulegen. Dies gelte auch hinsichtlich des zweiten Argumentationsstranges des BGH betreffend widersprüchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers nach § 242 BGB wegen jahrelanger Vertragsdurchführung (wird ausgeführt).
Wie das LG insoweit zutreffend festgestellt habe, sei die vorliegende Widerspruchsbelehrung fehlerhaft. Die Belehrung sei weder ausreichend drucktechnisch hervorgehoben noch entspreche sie den inhaltlichen Anforderungen einer ordentlichen Widerspruchsbele...