Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwaltshaftung: Anscheinsbeweis im Regressprozess

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) hat nicht den Zweck, einem nichtigen Rechtsgeschäft durch eine im Wege einer bloßen Fiktion erfolgende Nachholung fehlender Rechtshandlungen zur Wirksamkeit zu verhelfen.

2. Die Frage, wie sich eine Mandantin bei ordnungsgemäßer Beratung verhalten hätte, unterliegt im Falle des Anwaltsregresses den Regeln des Anscheinsbeweises, sofern vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus allein eine Entscheidung nahegelegen hätte.

 

Normenkette

BGB §§ 140, 291; GmbHG § 15 Abs. 4 S. 1, § 34; PartGG § 8 Abs. 4, 1; ZPO § 531 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.11.2018; Aktenzeichen 2-24 O 302/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29. November 2018 verkündeten Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 2-24 O 302/16) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 4.618.050,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 1.618.050,00 seit dem 8. Januar 2017, aus weiteren EUR 693.450,00 seit dem 13. Oktober 2017, aus weiteren EUR 1.001.650,00 seit dem 31. Oktober 2018, aus weiteren EUR 385.250,00 seit dem 9. März 2019, aus weiteren EUR 539.350,00 seit dem 11. Oktober 2019, aus weiteren EUR 308.200,00 seit dem 11. Februar 2020 sowie aus weiteren EUR 72.100,00 seit dem 3. Oktober 2020 zu zahlen.

Die Beklagte zu 2 wird überdies verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einer Hauptforderung von EUR 1.618.050,00 für den 7. Januar 2017 zu zahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen - einschließlich der Kosten der Streithilfe - haben die Beklagten zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten mit der Behauptung anwaltlicher Pflichtverletzung gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin ist eine französische Kapitalanlagegesellschaft für Risikoinvestments. Der Beklagte zu 1 war zum Zeitpunkt der hier in Rede stehenden Pflichtverletzung Partner der Beklagten zu 2. Er beriet die Klägerin im Jahr 2013 im Zusammenhang mit dem Abschluss eines sog. "Settlement Agreements" (Vergleichsvertrag), den die Klägerin am 31. Juli 2013 mit der X GmbH ("X") und der amerikanischem Recht unterliegenden Y ("Y") schloss.

Dem Abschluss dieses Settlement Agreements ging folgender Sachverhalt voraus:

Die Klägerin beteiligte sich im September 2004 auf der Grundlage eines "Investment Agreement" an der jetzigen Streithelferin der Klägerin, die damals als X GmbH firmierte. Einzige Gesellschafterin der X GmbH war seinerzeit die nach dem Recht von Delaware/USA errichtete Y.

Das Investment der Klägerin erfolgte dergestalt, dass das Stammkapital der X GmbH von EUR 1,0 Mio. auf EUR 1.430.850,00 erhöht wurde und die Klägerin einen neuen, ca. 30,11%-igen Gesellschaftsanteil an der X GmbH als neue Gesellschafterin übernahm. Hierfür zahlte sie einen "Issued Price" in Höhe von EUR 430.850,00 und erbrachte überdies ein "Additional Payment" in Höhe von weiteren EUR 9.819.150,00 in die Kapitalrücklage der X GmbH (Gesamtpreis: EUR 10,25 Mio.).

Der Unternehmensgegenstand der X GmbH sieht das Halten und Verwalten von Beteiligungen an anderen Unternehmen vor. Wegen der Satzung der X GmbH wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die auszugsweise Darstellung im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Ab dem Jahre 2009 begann die Klägerin, sich um einen Ausstieg aus ihrem X-Investment zu bemühen; erste Verhandlungen in diese Richtung blieben ohne Erfolg.

Im April 2011 schloss die Klägerin mit der X GmbH einen als "Share Sale and Transfer Agreement" ("SPA") bezeichneten Anteilskaufvertrag, durch den ihre 30,11%-ige Beteiligung an der X GmbH an ebendiese Gesellschaft für einen Kaufpreis von EUR 20 Mio. verkauft werden sollte; dieses "SPA" wurde durch zwei Ergänzungsvereinbarungen vom September 2011 ("1st Amendment") bzw. vom September 2012 ("2nd Amendment") teilweise abgeändert. Das "Share Sale and Transfer Agreement" nebst Ergänzungsvereinbarungen wurde jedoch niemals umgesetzt, weil die X GmbH keine ausreichende Liquidität generieren konnte, um den Kaufpreis an die Klägerin zu zahlen.

Am 31. Juli 2013 schlossen die Klägerin, die X GmbH und die Mitgesellschafterin Y eine als "Settlement Agreement" bezeichnete privatschriftliche Vergleichsvereinbarung, durch die das Ausscheiden der Klägerin aus der X GmbH neu geregelt werden sollte und deren Abschluss der Beklagte zu 1 als anwaltlicher Berater begleitete.

In diesem Vergleich...

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