Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderlicher Co-Konsens von Eltern und Minderjährigem im Falle einer Zirkumzision
Leitsatz (amtlich)
Bei einer radikalen Zirkumzision handelt es sich nicht um einen lediglich geringfügigen Eingriff.
Normenkette
BGB §§ 1627, 1629 Abs. 1 S. 2; ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 23.11.2017; Aktenzeichen 7 O 1356/12) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 23. November 2017 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hanau (7 O 1356/12) abgeändert.
Der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes (Klageantrag zu 1) ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte - vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsüberganges - verpflichtet ist, dem Kläger allen infolge seiner aufgrund der Operation vom 7. September 20XX eingetretenen Gesundheitsschädigung entstandenen und noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen.
Es wird ferner festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch allen infolge der durch die Operation vom 7. September 20XX eingetretenen Gesundheitsschädigung noch entstehenden weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen.
Der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 5) ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Zur Verhandlung und Entscheidung über den Betrag des Schmerzensgeldanspruchs und das diesbezügliche Zinsbegehren, die mit dem Antrag zu 2 begehrte Schmerzensgeldrente, die Höhe des Anspruchs auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie über die Kosten - auch über die des Berufungsverfahrens - wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger fordert von dem Beklagten Schmerzensgeld in Form eines Einmalbetrages und einer Rente ab September 2012, den Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung, dass der Beklagte zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen hat.
Der Beklagte nahm bei dem Kläger am 7. September 20XX eine radikale Zirkumzision vor. Die vorherige Durchführung von Aufklärungsgesprächen ist zwischen den Parteien streitig. Unmittelbar vor der Operation unterzeichnete der Vater des zu dieser Zeit sechszehnjährigen Klägers ein "Merkblatt zum Aufklärungsgespräch mit dem Arzt über die Operation bei Verengung der Vorhaut (Phimose)".
In den Tagen nach der Operation kam es zu einer ausgeprägten Wundinfektion und einer Nekrose an der Penisschafthaut. Der Kläger wurde daraufhin vom 11. September 20XX bis zum 29. September 20XX im Klinikum Stadt1 und anschließend bis zum 29. Oktober 20XX im A-Krankenhaus in Stadt2 stationär nachbehandelt.
Der Kläger hat behauptet, weder er noch seine Eltern seien ausreichend über die durchzuführende Operation aufgeklärt worden. Eine wirksame Einwilligung liege nicht vor. Namentlich die Mutter sei gegen eine Zirkumzision gewesen. Sie sei bei den behaupteten Aufklärungsgesprächen nicht anwesend gewesen.
Im Übrigen sei der Eingriff nicht medizinisch indiziert gewesen und nicht lege artis vorgenommen worden. Es sei deutlich zu viel Haut abgesetzt worden, weshalb sich Wundinfektion und Nekrose gebildet hätten.
Der Kläger hat überdies behauptet, er leide auch weiterhin unter andauernden Schmerzen. Sein körperlicher Zustand sei insgesamt schlecht, er habe zwischenzeitig unter einer Gewichtszunahme bis auf 180 kg gelitten. Darüber hinaus sei ihm ein Sexualleben nicht möglich. Aus den körperlichen Beeinträchtigungen ergäben sich erhebliche seelische Beeinträchtigungen, die zu Depressionen und Schulproblemen geführt hätten.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn wegen der am 7. September 20XX an dem Kläger fehlerhaft, ohne hinreichende Aufklärung und ohne wirksame Einwilligung durchgeführten Zirkumzision und ihrer Folgen ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, das jedoch mindestens EUR 100.000,00 betragen soll, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. September 2012 zu zahlen;
2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ab September 2012 eine lebenslängliche monatliche Schmerzensgeldrente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch mindestens EUR 100,00 betragen soll, zu zahlen, und zwar die bereits aufgelaufenen Renten sofort, im Übrigen vierteljährlich im Voraus bis zum 1. des jeweils ersten Quartalmonats nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab jeweiliger Fälligkeit;
3.festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen infolge seiner aufgrund der Operation vom 7. September 20XX eingetretenen Gesundheitsschädigung entstandenen und noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen, soweit die Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträger übergegangen sind;
4. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet i...