Leitsatz (amtlich)

Amtspflichtverletzung durch verzögerte Einleitung von Vollzugslockerungsmaßnahmen

 

Normenkette

BGB § 839

 

Verfahrensgang

LG Marburg (Urteil vom 05.04.2017; Aktenzeichen 7 O 227/15)

 

Tenor

Ein Rechtsmittel ist nicht bekannt geworden.

Die Berufung des Beklagten gegen das am 05. April 2017 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Marburg wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch aufgrund vermeintlicher Amtspflichtverletzung des Beklagten wegen rechtswidrig unterlassener resozialisierender Behandlungs- und Erprobungsmaßnahmen zur zeitgerechten Wiedererlangung der Freiheit.

Der Kläger war aufgrund eines Urteils des Landgerichtes Stadt1 vom 08. September 1987 zuletzt in Strafhaft mit anschließender Sicherungsverwahrung wegen schwerer räubersicher Erpressung. Die Sicherungsverwahrung wurde seit dem Jahr 2010 vollstreckt. Der Kläger bemühte sich bereits mehrere Jahre zuvor vergeblich um eine Aussetzung der Vollstreckung zu Bewährung. Am 07.04.2010 erstellt der Sachverständige A ein von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Marburg beauftragtes Sachverständigengutachten zur Frage der Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung. Vom Sachverständigen wurde ein noch relativ hohes Risiko der Entweichung festgestellt, aber auch Lockerungen für den Beginn des Resozialisierungsprozesses gefordert. Wegen Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 07.04.2010, Bl. 61 ff Bd. I d.A., Bezug genommen. Seit Mai 2011 wurden dem Kläger seitens der JVA Stadt2 gefesselte Ausführen, dann begleitete Ausführungen mit zunächst zwei, seit Juli 2012 mit einem Bediensteten der Anstalt bewilligt. Am 01.12.2011 wurde durch die Justizvollzugsanstalt ein ergänzendes fachpsychiatrisches Gutachten des Sachverständigen A zur Lockerungsvorbereitung beauftragt, welches am 18.04.2012 erstellt wurde. Unbegleitete Ausgänge wurden für vertretbar und für die Resozialisierung notwendig angesehen. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf das Gutachten Bl. 138 ff Bd. I d.A. Bezug genommen. Seitens der JVA wurden weitere Vollzugslockerungen jedoch von der Einholung eines weiteren Gutachtens abhängig gemacht, das von dem Sachverständigen B erstattet werden sollte (vgl. Vollzugsplanfortschreibung Nr. 15 vom 06.07.2012 Ziff. 17, Bl. 181 ff Bd. I d.A.).

Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Marburg vom 03. Juli 2012 (Az. .../12) wurde sodann die Sicherungsverwahrung zur Bewährung für den 27. März 2013 ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stadt1, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Entscheidung vom 13. Dezember 2012 (Az. .../12). Zugleich verfügte es die Änderung des Entlassungsdatums auf den 15. Dezember 2013, damit noch hinreichend Zeit zur Erprobung von Vollzugslockerungen bestünde. Die günstige Prognose hänge nur noch von der Bewährung des Klägers in vollzugsöffnenden Maßnahmen ab, die von der JVA grundlos und ermessensfehlerhaft versagt worden seien. Nach den Ausführungen des Strafsenates des OLG sei das Ermessen für die Erprobung in weitergehende Maßnahmen auf Null reduziert gewesen. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf den Beschluss vom 13. Dezember 2012, Bl. 157 ff Bd. I d.A., Bezug genommen.

Der Kläger war vom 03. September 2013 bis einschließlich 02. Dezember 2013 im Langzeiturlaub und wurde sodann zum 14. Dezember 2013 aus der Sicherungsverwahrung gegen Bewährung entlassen.

Der Kläger ist der Ansicht, die zusätzliche Unterbringungszeit ab dem 27. März 2013 beruhe auf der rechtswidrigen Unterlassung hinreichender Lockerungs- und Erprobungsmaßnahmen durch die Justizvollzugsanstalt in den vorangegangenen Jahren. Der Zeitraum vom ursprünglichen Entlassungszeitraum am 27. März 2013 bis zum 13. Dezember 2013, mithin 170 Tage abzüglich des Urlaubes, etwa 5,7 Monate, begründe als rechtswidrige Maßnahme eine Amtspflichtverletzung. Dagegen ist der Beklagte der Ansicht, dass der zusätzliche Unterbringungszeitraum nur auf der zulässigerweise eingelegten Beschwerde beruhe.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen und dem Vorbringen der Parteien in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. ZPO).

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz wegen Amtshaftung nach § 839 BGB in Höhe von 2.850,- EUR verurteilt. Die Unterlassung von sachlich gebotenen Vollzugsmaßnahmen(-lockerungen) in angemessenem Umfang zur Erprobung stelle eine rechtswidrige Amtspflichtverletzung dar. Hinsichtlich der Frage, ob die Unterlassung von Vollzugslockerungen zur Erprobung eine rechtswidrige Amtspflichtverletzung darstelle, sei das Landgericht an die Feststellungen des Oberlandesgerichtes im Beschluss vom 13.12.2012 g...

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