Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzfähigkeit der nach Schadensereignis von selbständigem Rechtsanwalt aufgewendeten Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Ersatzfähigkeit von Arbeitszeit, die der Geschädigte nach dem Schadensereignis aufwendet, ist eine differenzierende Beurteilung geboten, die insbesondere berücksichtigt, für welche Art von Arbeiten der Geschädigte seine Zeit verwendet hat.
a) (Arbeits-) Zeit, die der Geschädigte zur Ermittlung des Schadens und zur außergerichtlichen Abwicklung des Schadensfalles aufwendet, ist - abgesehen von Ausnahmefällen außergewöhnlichen zeitlichen Umfangs oder wirtschaftlich bedrohlicher Auswirkungen - nicht als Vermögensschaden ersatzfähig.
b) (Arbeits-) Zeit, die der Geschädigte zur Beseitigung des Schadens selbst aufwendet, zur Wiederherstellung eines Zustandes, der dem vor Eintritt des schädigenden Ereignisses nahe kommt, ist grundsätzlich als Vermögensschaden ersatzfähig.
2. Die Regel, dass Unternehmer oder andere selbständig Erwerbstätige ihren Schaden nicht nach den Kosten einer hypothetisch beschäftigten Ersatzkraft berechnen können, sondern als Schaden ihren bilanziellen Verlust nachzuweisen haben, ist nicht auf den Fall zu übertragen, dass der Geschädigte arbeitsfähig ist und seine Arbeitskraft zur Beseitigung des Schadens einsetzt, jedenfalls dann nicht, wenn der Unternehmer Tätigkeiten erbracht hat, die er hätte delegieren können.
3. Für die Bewertung der von einem selbständigen Rechtsanwalt zur Schadensbeseitigung aufgewendeten, dem Grunde nach ersatzfähigen Arbeitszeit kann im Rahmen einer Schadensschätzung auf die regelmäßig in den BRAK-Mitteilungen veröffentlichten STAR-Untersuchungen zurückgegriffen werden.
Normenkette
BGB §§ 249, 839; GG Art. 34; StrEG § 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.06.2012; Aktenzeichen 2-4 O 136/11) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 20.6.2012 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 15.583,25 EUR zzgl. Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.4.2011 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 95,3 %, das beklagte Land zu 4,7 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % abwenden, wenn nicht die Gegenpartei Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger nimmt das beklagte Land (nachfolgend als "Beklagter" bezeichnet) auf Schadensersatz und Entschädigung für verschiedene strafprozessuale Zwangsmaßnahmen in Anspruch.
Er ist Rechtsanwalt und ehrenamtlich Vorstand des A e.V., eines gemeinnützigen Vereins. Seit dem Jahre 2004 führten zunächst die Staatsanwaltschaft bei dem LG Marburg, dann die Staatsanwaltschaft bei dem LG Gießen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Betruges und Untreue im Zusammenhang mit der Einwerbung und der Verwendung von Vereinsmitteln. Im Zuge dieses - später eingestellten - Ermittlungsverfahrens führte die Staatsanwaltschaft eine Vielzahl strafprozessualer Zwangsmaßnahmen gegen den Kläger durch. Der Senat hat den Beklagten in einem ersten Rechtsstreit rechtskräftig zur Zahlung einer Geldentschädigung i.H.v. 15.000 EUR für die Verletzung des Klägers in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und zur Erstattung von Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 2.902,95 EUR verurteilt sowie festgestellt, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger zum Ersatz der materiellen Schäden aus folgenden Handlungen der Bediensteten des Beklagten verpflichtet ist:
- Freiheitsentziehung zu Lasten des Klägers am 28.9.2004,
- erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers am 28.9.2004,
- Aufrechterhaltung der Speicherung der bei der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers erhobenen Daten in den Dateien und den Unterlagen der Ermittlungsbehörden im Zeitraum vom 28.9.2004 bis zur Datenlöschung im Laufe des Monats November 2007,
- Beschlagnahme, Öffnung und Auswertung der an den Kläger gerichteten Post im Zeitraum vom 28.9.2004 bis 13.5.2005,
- Durchsuchungen am 28.9.2004,
- Arrestanordnungen am 30.9.2004,
- Beschlagnahmen im Eigentum des Klägers stehender Unterlagen und sonstiger Gegenstände, insbesondere am 28.9.2004
(Urt. v. 14.6.2010 - 1 U 64/09, Kopie Bl. 35 ff. d.A.). Außerdem hat der Kläger Beschlüsse des AG Gießen vom 30.9.2008 (Bl. 178 f. d.A.) und vom 26.11.2008 (Bl. 180 d.A.) sowie des LG Gießen vom 9.2.2010 (Bl. 181 ff. d.A.) über die grundsätzliche Entschädigungspflicht des Beklagten nach dem StrEG für die in diesen Beschlüssen aufgeführten Maßnahmen erwirkt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat den Entschädigungsantrag des Klägers unter dem 20.12.2010 insgesamt abgelehnt.
Der Kläger hat seinen Anspruch im Wesentlichen damit begründet, dass er infolge ...