Leitsatz (amtlich)
1. Konzernunternehmen sind wegen der wirtschaftlichen Einheit - im Verhältnis zum diskriminierten Drittunternehmen - i.S.v. § 20 GWB nicht als gleichartige Unternehmen anzusehen.
2. Die Vorschriften des AEG und der EIBV sind auf die Belieferung mit Fahrstrom nicht anwendbar.
Normenkette
AEG § 1; GWB § 20
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 06.07.2005; Aktenzeichen 3-8 O 25/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Schlussurteil der 8. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt/M. vom 6.7.2005 abgeändert.
Das Urkunden-Anerkenntnis- Vorbehaltsurteil vom 19.5.2004 wird mit der Maßgabe für vorbehaltlos erklärt, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 85.979,16 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 3 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus 40.436,63 EUR seit 16.8.2002 und aus 45.542,53 EUR seit 27.8.2002 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin ist ein Tochterunternehmen der A AG. Sie betreibt den Einkauf, Verkauf und die Bereitstellung von elektrischer Energie zum Betrieb von Triebfahrzeugen für den Zugverkehr in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Beklagte ist ein nach § 6 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) zugelassenes privates Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), das im Bereich des Schienengüterverkehrs tätig und hierbei auf die Benutzung des öffentlichen Schienennetzes der DB Netz AG angewiesen ist. Sie bezieht den zur Erbringung der Güterverkehrsleistungen erforderlichen Strom von der Klägerin.
Den ihr dafür in Rechnung gestellten Betrag (Bl. 38, 39 d.A.) hat die Beklagte im Juni und Juli 2002 um insgesamt 85.979,16 EUR - der Klageforderung - gekürzt, weil sie die von der Klägerin berechneten Preise für diskriminierend (§ 20 Abs. 1 GWB) und missbräuchlich (§ 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 und 2 GWB) hält. Die Klägerin verlangt mit der Klage Zahlung der offenen Rechnungsbeträge.
Das LG hat die Beklagte zunächst durch Urkunden-Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil vom 19.5.2004 unter Vorbehalt ihrer Rechte im Nachverfahren zur Zahlung verurteilt. Mit dem angefochtenen Schlussurteil hat es das Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil vom 19.5.2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand und der tatsächlichen Feststellungen wird auf das Schlussurteil vom 19.5.2004 Bezug genommen. Ergänzend wird festgestellt, dass die Beklagte zum Betrieb des Eisenbahnverkehrs mehrere Elektro-und eine Diesellokomotive unterhält.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die meint, die Preisvereinbarung zwischen den Parteien verstoße nicht gegen das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB und sei auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zu beanstanden.
Sie, die Klägerin, sei keine Normadressatin des § 20 Abs. 1 GWB. Die funktionale Austauschbarkeit von Bahnstrom und Diesel zwinge zu einer weiten Marktabgrenzung. Die Versorgung von Abnehmern mit Bahnstrom erfolge auf dem Markt für Traktionsenergie, auf dem Bahnstrom und Diesel miteinander im Wettbewerb stünden. Auf dem Markt für Traktionsenergie fehle es an einer beherrschenden Stellung der Klägerin. Nach ihrer Kenntnis gebe es in Deutschland etwa 60 Tankstellen an Schienenstrecken, die nicht von ihr betrieben würden. Die Beklagte habe auch eigene Tankstellen bauen können.
Zwischen der Beklagten und der B AG fehle es an der Gleichartigkeit. Zwar habe das LG im Ansatz noch zutreffend erkannt, dass Konzernunternehmen wegen der wirtschaftlichen Einheit grundsätzlich nicht als gleichartige Unternehmen i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB angesehen werden können. Zu Unrecht habe es jedoch die §§ 8 und 3 Abs. 1 Nr. 2 Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV) als eine besondere rechtliche Regelung gewürdigt, die von diesem Grundsatz eine Ausnahme erfordere. Die EIBV betreffe nur die Benutzung der "Eisenbahninfrastruktur" öffentlicher Eisenbahninfrastrukturunternehmen, während der Strom selbst nicht zur Eisenbahninfrastruktur zähle, was in § 1 Abs. 2 Satz 3 AEG n.F. nunmehr ausdrücklich geregelt sei. Andere Rechtsnormen, aus denen ein entsprechendes Gebot zur Gleichbehandlung konzerninterner und konzernfremder Unternehmen hinsichtlich der Lieferung von Bahnstrom folge, existierten nicht.
Es fehle an einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung. Auch insoweit habe das LG den Maßstab für Preisdifferenzierungen zu Unrecht den Bestimmungen des Eisenbahnrechts, nämlich § 7 Abs. 3 EIBV, entnommen. Nach der allein maßgeblichen kartellrechtlichen Beurteilung komme es (Gleichartigkeit vorausgesetzt) für die sachliche Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung auf die Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettb...