Leitsatz (amtlich)
Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Bezug auf den sog. Dieselskandal
Normenkette
BGB §§ 31, 249, 288, 291, 826; RVG § 14
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 15.11.2019; Aktenzeichen 2-05 O 424/18) |
Tenor
Mit dem in § 14 Abs. 2 Satz 1 RVG verwendeten Begriff des Rechtsstreits ist lediglich der Gebührenprozess zwischem dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber gemeint, nicht aber der Rechtsstreit zwischen dem Auftraggeber des Rechtsanwalts und einem Dritten, der zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten verpflichtet ist.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufungen der Klägerin und Beklagten wird das am 15. November 2019 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main unter Zurückweisung der weitergehenden Berufungen teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 12.774,76 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus einem Betrag in Höhe von EUR 13.359,97 für den Zeitraum vom 29. Januar 2019 bis zum 26. August 2020 sowie in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von EUR 12.774,76 ab dem 27. August 2020 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Golf V, VI 2.0 TDI Variant mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.029,35 freizustellen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 20,0 % der Kosten des ersten Rechtszuges und 15,0 % der Kosten des zweiten Rechtszuges und die Beklagte 80,0 % der Kosten des ersten
Rechtszuges und 85,0 % der Kosten des zweiten Rechtszuges zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gemäß den §§ 540 Abs. 1, 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässigen Berufungen haben in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg.
1. Der Klägerin kann von der Beklagten gemäß § 826 BGB die Zahlung von EUR 12.774,76 nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen.
a. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des im Tenor genannten Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von ihr gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung dieses Fahrzeugs. Die Beklagte hat der Klägerin in einer im Sinne des § 826 BGB gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt (vgl. zur Herstellerhaftung aus § 826 BGB im Rahmen des sog. Abgasskandals BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1963 ff.).
Die Beklagte hat die Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug durch eine arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes - KBA - erschlichen. Dies steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Klägerin gleich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1965).
Die installierte Motorsteuerungssoftware enthielt mit der "Umschaltlogik" eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1963 f.).
Die Beklagte hat dem KBA bei der Erlangung der (jeweiligen) Typgenehmigungen durch das Verwenden der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgespiegelt, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, und sie hat dadurch über das Einhalten der gesetzlichen Abgaswerte getäuscht, um die Typgenehmigung auf kostengünstigem Weg zu erhalten. Die Abschalteinrichtung wurde auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung über Jahre hinweg nicht nur im Unternehmen der Beklagten selbst, sondern auch bei mehreren Tochterunternehmen in verschiedenen Fahrzeugmodellen durch aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware zur Beeinflussung der Abgasrückführung in die Motorsteuerung eingebaut, wobei bei einer Entdeckung der verwendeten Software gemäß § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte erfolgen können (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, 1964 f.).
Die vorgenannte arglistige Täuschung gegenüber dem KBA steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Klägerin als Käuferin des im Tenor genannten Fahrzeugs gleich.
Es besteht ein erhebliches Ungleichgewicht im Hinblick auf das bei den Herstellern und den Käufern der Fahrzeuge vorhandene (technische) Wissen in Bezug auf die Funktionsw...