Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein 7 Jahre altes Fahrzeug, dessen Verkehrswert auf einen Bruchteil des Neuwertes gesunken ist, durch einen Unfall zerstört, so ist davon auszugehen, dass ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug im Allgemeinen auf dem privaten Markt gesucht werden wird.

2. Der Wiederbeschaffungswert ist deshalb nicht um einen Umsatzsteueranteil zu vermindern.

3. Bildet sich vor einer Tankstellenausfahrt ein Stau und lässt ein im Stau stehender Fahrer vor der Ausfahrt eine Lücke frei, so muss ein unter Benutzung der Gegenfahrbahn an der Schlange vorbeifahrender Verkehrsteilnehmer damit rechnen, dass ein die Tankstelle verlassender Wagen durch die offene Lücke hindurch auf die Fahrbahn einfahren könnte.

 

Normenkette

BGB § 249; StVO §§ 1, 10

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 15.06.2005; Aktenzeichen 4 O 123/05)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Darmstadt vom 15.6.2005 wird zurückgewiesen.

Ebenso wird die Anschlussberufung des Klägers gegen dieses Urteil zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelinstanz sind von den Beklagten zu 60 %, vom Kläger zu 40 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

1. Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.

Am 22.10.2004 gegen 13:45 Uhr setzte die Tochter des Klägers an, mit dessen Pkw - einem X, am 18.9.1997 erstmalig zum Verkehr zugelassen - aus einer an der zweispurigen A.-straße in O1 gelegenen Tankstelle in die - von ihr aus gesehen - gegenüberliegende Fahrspur links abbiegend einzufahren. Auf der ihr zugewandten "rechten" Fahrspur hatte sich, ausgehend von der aus der Sicht der Tochter des Klägers etwa 20-40 m rechts installierten Fußgängerampel ein Stau gebildet. Der Fahrer eines im Bereich der Ausfahrt wartenden Fahrzeuges hatte zugunsten der Ausfahrt eine Lücke offen gelassen. In diese Lücke fuhr die Zeugin ein und bog nach links in die gegenüberliegende Fahrspur ein.

Etwa gleichzeitig war der Beklagten zu 1) mit seinem Wagen aus der Warteschlange ausgeschert und an dieser Schlage mit dem Ziel vorbeigefahren, in die schräg ggü. der Tankstelle und in seiner Fahrtrichtung noch vor der Fußgängerampel gelegene B-Str. abzubiegen. Gegenüber der Ausfahrt kollidierten beide Fahrzeuge.

Das LG hat die Beklagten zum Ersatz von 60 % des dem Kläger entstandenen Schadens verurteilt. Wegen der von ihm gefundenen Gründe sowie der tatbestandlichen Einzelheiten wird auf das Urt. v. 15.6.2005 verwiesen.

Mit der Berufung tragen die Beklagten vor, die Tochter des Klägers sei straßenverkehrsrechtlich allein für das Unfallereignis verantwortlich, habe sie doch die besonderen Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO missachtet. Nach dem - unstreitigen - Kauf eines Ersatzfahrzeuges stehe dem Kläger kein Ausgleich von Mehrwertsteuer zu, da er nicht nachgewiesen habe, solche gezahlt zu haben.

Die Beklagten beantragen, das Urteil des LG Darmstadt vom 15.6.2005, Au. 4 O 123/05, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, weiterhin, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 4.206,19 EUR nebst 5 % Jahreszinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18.11.2004 zu zahlen.

Der Kläger trägt vor, der Beklagte habe damit rechnen müssen, dass die vor der Tankstellenausfahrt freigelassene Lücke von einem ausfahrenden Wagen verlassen werde; er habe deshalb überhaupt nicht in der Kolone vorbeifahren dürfen.

Die Beklagten beantragen, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sachvortrages wird auf die vor dem OLG gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

2. Die Berufung ist ebenso unbegründet wie die Anschlussberufung. Das LG hat zutreffend eine leicht überwiegende Verantwortlichkeit der Beklagtenseite für die Entstehung des Unfallschadens angenommen und diesen Schaden auch richtig berechnet.

a) Beide Fahrzeugführer haben den Unfall zu verantworten. Beide missachteten Sorgfaltsanforderungen, welche sich ihnen in der konkreten Situation stellten, und beide begründeten damit eine Erhöhung des vom jeweils geführten Fahrzeugs ausgehenden Betriebsgefahr.

Die Tochter des Klägers war, da sie aus einem Grundstück auf die Fahrbahn einfuhr, verpflichtet, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war (§ 10 StVO). Dass sie dem nicht gerecht wurde, wird aus dem weiteren Verlauf deutlich. Entgegen der Auffassung des Klägers durfte sie nicht darauf vertrauen, dass die - aus ihrer Sicht - gegenüberliegende Fahrbahn frei sein würde; diese Fahrbahn war für den aus der Sicht der Tochter des Klägers nach rechts verlaufenden Verkehr nicht gesperrt, insb. nicht durch Zeichen 295 abgegrenzt.

Auch der Beklagte zu 1) verhielt sich pflichtwidrig. Angesichts der Tatsache, dass rechts der - zunächst - vor ihm aufgestauten Fahrzeugschlange eine in ihrer Anlage gut erkennbare Tankstelle lag, weiter angesichts der Tatsache, dass ein wartender Fahrer vor deren - breiter - Ausfahrt eine Lüc...

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