Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Steuerberaters für Beratung über Sozialversicherungspflicht
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 12.05.2022; Aktenzeichen 3 O 293/21) |
Tenor
Ein Rechtsmittel ist nicht bekannt geworden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 12. Mai 2022 (Az.: 3 O 293/21) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen einer unterbliebenen Beratung über eine bestehende Sozialversicherungspflicht in Anspruch.
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der X GmbH i.L. (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin), über deren Vermögen durch Beschluss vom 24. Juni 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
Die Beklagte war seit der Gründung im Jahr 2007 die Steuerberaterin der Insolvenzschuldnerin und erstellte ihre Lohnbuchhaltung. Für den als Geschäftsführer tätigen Herrn Q, der bis zu seinem Ausscheiden im August 2016 (siehe dazu Anlage K4 im Anlagenband) Minderheitsgesellschafter ohne Sperrminorität war, führte die Insolvenzschuldnerin keine Sozialversicherungsbeiträge ab. Im August 2012 entschied das Bundessozialgericht, dass der geschäftsführende Gesellschafter wie ein abhängig Beschäftigter sozialversicherungspflichtig sei. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) beanstandete die fehlende Abführung von Beiträgen bei Prüfungen für die Zeiträume bis Ende 2009 sowie von Mai 2010 bis September 2013 (im Dezember 2014 abgeschlossen) nicht. Die Beklagte wies die Insolvenzschuldnerin nicht auf eine bestehende Sozialversicherungspflicht hin. Im März 2018 entschied das Bundessozialgericht zudem - anknüpfend unter anderem an ältere Rechtsprechung aus dem Jahr 1992 -, dass die Sozialversicherungspflicht dann ausnahmsweise nicht bestehe, wenn dem Geschäftsführer eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt sei.
Nach einer weiteren Prüfung forderte die DRV von der Insolvenzschuldnerin rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge für den Geschäftsführer Q für das Jahr 2015 in Höhe von 13.588,68 Euro und für das Jahr 2016 in Höhe von 9.095,84 Euro. Zudem forderte die Krankenkasse1 Säumniszuschläge in Höhe von 681,- Euro.
Der Kläger hat gemeint, die Beklagte habe die Pflicht gehabt, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu verfolgen und die Insolvenzschuldnerin auf die bestehende Sozialversicherungspflicht oder doch jedenfalls auf das Erfordernis der Einholung von Rechtsrat hinzuweisen. Sie habe diese Pflicht schuldhaft verletzt, denn die Änderung der Rechtsprechung sei in einer im August 2014 von der DRV veröffentlichten Fachinformation für Arbeitgeber und Steuerberater thematisiert worden. Der Kläger hat behauptet, dass die Insolvenzschuldnerin als Folge eines solchen Hinweises Rechtsrat eingeholt hätte und dann die Sozialversicherungspflicht vermieden hätte - und zwar entweder durch Einräumen einer echten/qualifizierten Sperrminorität für Herrn Q oder durch dessen Ausscheiden oder durch eine Gehaltsanpassung für diesen.
Die Beklagte hat gemeint, im Rahmen einer konsolidierten Schadensbetrachtung müsse beachtet werden, dass der Minderheitsgesellschafter dank der Sozialversicherungsbeiträge Rentenanwartschaften erlangt habe. Zudem habe die Insolvenzschuldnerin Vorteile durch die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge vor dem Jahr 2015 erlangt, hinsichtlich derer eine Nachforderung nicht mehr möglich sei. Zudem habe sich die Insolvenzschuldnerin Kosten für die ansonsten nachgesuchte rechtliche Beratung erspart.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 12. Mai 2022 (Bl. 62 ff. d.A.).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es mangele an einer Pflichtverletzung durch die Beklagte. Die Beratungspflicht des Steuerberaters erstrecke sich nicht auf sozialversicherungsrechtliche Aspekte. Zwar sei denkbar, dass man bei sich aufdrängenden Zweifeln die Inanspruchnahme von Rechtsrat empfehlen müsse. Hier hätten sich aber keine Zweifel aufgedrängt, weil die DRV bei ihrer nach der Rechtsprechungsänderung erfolgten Betriebsprüfung keine Beanstandungen gehabt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Gegen das ihm am 13. Mai 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. Juni 2022 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Mit der Berufung verfolgt er sein erstinstanzliches Begehren weiter. Er rüg...