Entscheidungsstichwort (Thema)

Deliktische Haftung des Motorenherstellers im Abgasskandal nach Informationen der Öffentlichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Erwerb eines vom sog. Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs nach Informationen der Öffentlichkeit durch den Motorenhersteller haftet dieser nicht mehr nach § 826 BGB, da es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Sittenverstoß und Schadenseintritt fehlt.

 

Normenkette

BGB § 826

 

Verfahrensgang

LG Hanau (Urteil vom 08.02.2019; Aktenzeichen 9 O 817/18)

 

Tenor

Die Berufung gegen das am 8.2.2019 verkündete Urteil des LG Hanau (Az.: 9 O 817/18) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin wendet sich mit der Berufung gegen die Abweisung ihrer Klage, mit der sie die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz wegen des Erwerbs eines mit einer vorgeblich unzulässigen Abschalteinrichtung für das Abgasreinigungssystem versehenen gebrauchten Fahrzeugs in Anspruch genommen hat.

Die Klägerin erwarb am 17.05.2016 von der Fa. X einen gebrauchten Pkw Audi A6 Avant 2.0 TDI mit einer Laufleistung von 101.941 km zum Preis von 22.000,01 EUR (Anlage K 1, B. 28 d. A.). Herstellerin des Fahrzeugs ist die Audi AG, eine Tochtergesellschaft der Beklagten. Das Fahrzeug ist mit dem von der Beklagten entwickelten Dieselmotor EA 189 ausgestattet. Die Motorsteuerung dieses Motors war zum Zeitpunkt des Erwerbs so programmiert, dass im Falle des Durchlaufens des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), welcher Teil des Typgenehmigungsverfahrens ist, die Abgasrückführung in einen NOx-optimierten Betriebsmodus (Modus 1) versetzt wurde, während sie außerhalb des NEFZ im Straßenverkehr im nicht NOx-optimierten Betriebsmodus (Modus 0) operierte. Im Modus 0 war die Abgasrückführungsrate geringer.

Bereits am 22. September 2015 hatte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung und eine Pressemitteilung veröffentlicht. Darin hieß es u.a.: "Weitere bisherige interne Prüfungen haben ergeben, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden ist. Bei der Mehrheit dieser Motoren hat die Software keinerlei Auswirkungen. Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen. Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. Volkswagen arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. Das Unternehmen steht dazu derzeit in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Deutschen Kraftfahrtbundesamt."

Die Beklagte setzte hierüber am gleichen Tag auch ihre Vertragshändler und Servicepartner in Kenntnis. Ferner informierte sie die anderen Konzernhersteller und damit auch die Audi AG über das Vorhandensein der Umschaltlogik in den Fahrzeugen mit dem Motortyp EA189 und bat diese, ihre Vertriebspartner bzw. Importeurgesellschaften ebenfalls zu informieren. Bezogen auf Audi-Fahrzeuge geschah dies am 23.9.2015 durch die Audi AG.

Anfang Oktober 2015 richtete die Beklagte außerdem eine Internetseite ein, auf der durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer überprüft werden konnte, ob das jeweilige Fahrzeug von dem Abgasskandal betroffen ist. Hierüber informierte die Beklagte am 02.10.2015 ihr Händlernetz sowie die Öffentlichkeit im Rahmen einer Pressemitteilung. Auch die Konzernmarke Audi AG schaltete in Absprache mit der Beklagten Anfang Oktober eine entsprechende Webseite für eine FIN-Abfrage zur Betroffenheit und informierte die Öffentlichkeit.

Auf Veranlassung der Beklagten und des jeweiligen Konzernherstellers, darunter auch die Audi AG, wurden im Februar 2016 sämtliche Halter der betroffenen Fahrzeuge, darunter auch der Marke Audi, angeschrieben und über die anstehende Rückrufaktion und deren Umsetzung durch Aufspielen des Software-Updates informiert.

Der gesamte Abgasskandal war seit September 2015 Gegenstand einer ausführlichen und umfangreichen Medienberichterstattung.

Mit Bescheid vom 11.12.2015 hatte das Kraftfahrtbundesamt die Audi AG verpflichtet, bei sämtlichen Fahrzeugen, die mit dem Motor des Typs EA 189 EU5 ausgestattet waren, die "unzulässige Abschalteinrichtung" zu entfernen und dies durch geeignete Nachweise zu belegen. Die Beklagte hatte in der Folge ein Softwareupdate für die betroffenen Motoren entwickelt, durch das das Abgasrückführungssystem überarbeitet wird. Mit Bescheid vom 27.5.2016 (Anlage B 1, Bl. 144 f. d. A.) hatte das Kraftfahrtbundesamt gegenüber der Beklagten bestätigt, dass diese Maßnahme geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffe...

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