Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährung bei Spätfolgen einer Körperverletzung
Leitsatz (amtlich)
Die Verjährungsfrist eines Schadensersatzanspruches beginnt im Hinblick auf objektiv vorhersehbare Spätfolgen auch dann mit der allgemeinen Schadenskenntnis zu laufen, wenn der Geschädigte wegen unrichtiger Beratung durch einen beigezogenen Arzt die Erhebung einer Feststellungsklage unterlassen hat.
Normenkette
BGB § 199 Abs. 1, § 852
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 09.03.2011; Aktenzeichen 2 O 294/08) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 9.3.2011 verkündete Urteil des LG Gießen wird zurückgewiesen. Das Urteil des LG wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung aus dem Urteil durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages erbringt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen eines Bisses durch dessen Hund im Jahre 1995 für nach ihrem Vortrag ab dem Jahr 2005 aufgetretene Gesundheitsschäden auf ein einmaliges Schmerzensgeld in einer Größenordnung um 50.000 EUR, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 300 EUR sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche weiteren Schäden in Anspruch.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das LG hat die Klage nach Beweiserhebung, u.a. durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens (Bl. 115 ff. d. A) und dessen mündlicher Erläuterung (Bl. 292 ff.), wegen Durchgreifens der Einrede der Verjährung abgewiesen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter verfolgt.
Sie vertritt zum einen die Auffassung, dass zwischen der im Jahre 2007 entdeckten Nervverletzung und der Erstverletzung des Jahres 1995 (Fleischwunden mit Narbenbildung) keine Schadenseinheit im Sinne der Rechtsprechung des BGH bestehe. Die aufgetretenen Beeinträchtigungen auf neurologischem Gebiet seien nicht zu erwarten gewesen. Sie verweist auf das bereits vorgelegte Attest des Facharztes für Neurologie A vom 29.2.1996 (Bl. 218 d.A.), nach dem keine "diagnostischen oder therapeutischen Hinweise" auf neurologischem Gebiet bestünden. Diese Bescheinigung sei für sie damals Anlass gewesen, keine Feststellungsklage zu erheben. Von ihrem damaligen Bevollmächtigten Rechtsanwalt 1 sei darauf im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Abfindungsvergleich Bezug genommen worden (Schreiben an die Mutter der Klägerin, Anlage K 12, Bl. 166 d.A.).
Ergänzend legt die Klägerin in der Berufungsinstanz ein von demselben Arzt ausgefülltes Formular an die Regressabteilung der Krankenversicherung vom 11.1.1998 vor (Anlage BB 7, Bl. 398 d.A.), wonach mit Folgeerkrankungen nicht zu rechnen sei und dem ausdrücklichen Zusatz "Keine neurologischen Folgen!". Sie vertritt die Auffassung, dass aus diesem Umstand, weil sie auf das Attest eines Facharztes vertraut habe und auch habe vertrauen dürften, für sie kein Anlass bestanden habe, sich von (weiteren) Fachkundigen beraten zu lassen oder eine Feststellungsklage zu erheben.
Die Klägerin ist zum Anderen der Meinung, dass - im Anschluss an die Entscheidung des BGH in NJW 1991, 973 - die Berufung des Beklagten auf die Einrede der Verjährung wegen Treu und Glauben ausgeschlossen sei (§ 242 BGB). Vergleichbar jenem Fall sei eine Ausnahme vom Grundsatz der Schadenseinheit geboten, weil einerseits das Verletzungsbild von Ärzten als vorübergehend beurteilt und deshalb keine Feststellungsklage erhoben worden sei und andererseits eine aus damaliger Sicht außergewöhnlich schwere, die Existenz bedrohende Spätfolge eingetreten sei. Sie stellt nicht in Abrede, dass die Folgen hier weniger gravierend als in dem dem BGH vorliegenden Fall (Querschnittslähmung) seien, meint jedoch, dies werde dadurch kompensiert, dass es für eine Nervverletzung damals keinen Hinweis gegeben habe und deshalb deutlich weniger Anlass bestanden habe, eine Feststellungsklage zu erheben. Zur Verdeutlichung der Schwere der erlittenen Spätfolgen legt die Klägerin nochmals im Einzelnen ihre Belastungen durch die Schmerzen im Arm, die Beeinträchtigungen durch die seit 2007 durchgeführten Behandlungen zur Schmerzlinderung (insgesamt neun körperliche Eingriffe) sowie die damit verbundenen Risiken dar. Wegen der Einzelheiten wird auf S. 9 bis 17 der Berufungsbegründung (Bl. 480 - 488 d.A.) verwiesen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 12.9.2011 (Bl. 401 ff. d.A.) den von der Klägerin gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.
Die Klägerin nimmt zu der vom Senat in diesem Beschluss vertretenen Rechtsauffassung wie folgt Stellung:
Die Klägerin ...